Die Hölle von Tarot
tun, um sie wieder loszuwerden.
„So soll es sein“, stimmte Satan zu. Die Karten flogen empor, explodierten aus ihrer Schachtel, um die Szene mit vielerlei Bildern zu füllen, wie am Schluß von ‚Alice im Wunderland’, wirbelten mit zunehmender Geschwindigkeit um ihn herum, bis die Bilder verschwammen und er total verwirrt war.
Hilfe!
War das sein Schrei gewesen? Nein, er wußte, er befand sich in der Macht Satans und brauchte keine weitere Hilfe. Der Schrei war woanders her gekommen, vielleicht auf telepathischem Wege. In dem Zustand, in dem sich seine Seele befand, mochte er für eine solche Botschaft empfänglich sein.
Bruder Paul versuchte, das unhörbare Flehen zu orten, doch alles blieb im Chaos. Um ihn herum wirbelten Farben, die sich aber nicht zu festen Formen verfestigten. Es war, als schwämme er durch ein wasserloses Meer, ohne zu atmen, denn seine Seele besaß keine Lungen. Entkörperlicht, aber fühlend konnte er seine Umgebung ohne Satans Befehl nicht kontrollieren.
Meine Seele schwebt frei, dachte er.
Aber nicht ohne Zweck. Jemand hatte um Hilfe gerufen, und Bruder Paul hatte dieses Flehen gehört und wurde davon angezogen.
Bin ich tot?
Es war ein Lichtblitz, etwas Sinnvolles in dem Strom. Ein Geist, gerade befreit von seiner Sterblichkeit, eine Seele auf dem Weg ins Nirwana oder hinab in die Hölle. Wenn er sie nur erreichen, leiten könnte …
Ich bin ein Narr, blitzte es auf.
Bruder Paul lernte allmählich, sich in diesem chaotischen Zustand zurechtzufinden. Er richtete sich nach dem Schrei aus. Natürlich war diese Person ein Narr – der Narr aus dem Tarotspiel. Bruder Paul bewegte sich durch einen Gang, der sich weiter vorn öffnete, nicht gerade ein breiter Weg, aber …
Die Person schrie. Der Narr war wohl den Abgrund hinabgestürzt. So erging es Narren immer. So edel, idealistisch wie sie waren, immer höchsten Erwartungen der Zivilisation entsprechend. Doch auch höchst unpraktisch. Narren pflegten immer von ungebärdigen Hunden ins Hinterteil gebissen zu werden: analer Sadismus als Belohnung der Zuschauer. Besonders aufreizend, wenn er an einem Individuum mit besonders hehren Idealen verübt wurde.
Die Reise dauerte erstaunlich lange, führte aber nicht weit. Er bewegte sich mit unglaublicher Geschwindigkeit durch einen Schleier, den er nicht genau definieren konnte. Endlich erblickte er die Person, die ihn gerufen hatte. Sie blitzte um Hilfe, denn es war kein menschliches Wesen, aber es war auch nicht wie Antares. Es war ein gräßliches, scheibenförmiges, lebendiges Kriechtier. Ein wüst geringelter Wurm mit Laserlinsen!
Ich brauche einen Führer, blitzte es.
Bruder Paul war entsetzt. Er hatte irgendwie ein menschliches Wesen erwartet, nicht dieses blitzende Ding. Doch es schien, als sei es ein Wesen in Bedrängnis. Wie konnte er Hilfe verweigern? „Ich werde dich führen“, sagte er, noch ehe er den Gedanken zu Ende gedacht hatte. Aber wie konnte er jemanden führen, wenn er selbst den Weg nicht wußte?
Während er dies sagte, entwickelte sich um ihn her eine Kulisse: die Station des Heiligen Ordens der Vision mit der hochragenden Windmühle, die sich hinter ihm drehte. Das war sein letzter bewußter Kontakt mit den Elementen der Natur und dem Tarot gewesen, ehe man ihn zu seinem einzigartigen Abenteuer rief; es schien Tausende von Jahren her zu sein. Unter seinen Füßen war wieder guter, fester Boden: Chaos hatte wirklich nichts Anziehendes für ihn.
Konnte er einfach zu seinem früheren Leben in der Station zurückkehren und die Hölle hinter sich lassen? Er fühlte sich versucht, es auszuprobieren. Doch zunächst mußte er diesem Wesen helfen, wenn er nur konnte.
Was für ein Wesen bist du? fragte das Tier, als sei es ein normales Lebewesen und er ein merkwürdiges Ungeheuer. Nun, dieser Standpunkt war nicht ungerechtfertigt – und nach allem, was Bruder Paul über sich selbst erfahren hatte, konnte er gut verstehen, wie schrecklich er einem anderen intelligenten Wesen gegenüber erscheinen mußte.
Er merkte plötzlich, daß dies nicht Teil seines eigenen Bezugsrahmens war, sondern der des Wesens. Die Kulisse mit der Station war nur ein falscher Hintergrund, um ihn natürlicher erscheinen zu lassen, so wie man in modernen zoologischen Gärten die Tiere in Käfige sperrt, die ausgemalt sind wie deren natürliche Umgebung. Dies war offensichtlich – die Zukunft! Er war durch die Zeit gereist in eine Epoche, die weit jenseits seines eigenen Lebens
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