Die Hölle von Tarot
Spielkarten auf den Markt. Aber viele Leute fanden das vollständige Spiel zu mühselig. Als die Karten vom Adel und den Reichen zu den Armen durchsickerten, waren die Bilder auch zu teuer geworden. Man ließ weitere Karten fort, bis das Spiel fast wieder zu seiner ursprünglichen Form geriet, mit der die Waldenser ihre verborgene Botschaft transportiert hatten. Von allen Trümpfen blieb lediglich der Narr übrig, den man nun Joker nannte. Manchmal gab es auch eine leere Ersatzkarte – der unwissende Hersteller schuf den Geist, ohne ihn zu erkennen. Die Ritter fielen fort, und jede Farbe hatte nur noch dreizehn Karten. So wurde es zum Bauernspiel mit nur dreiundfünfzig Karten – der Anzahl der Wochen eines Jahres entsprechend plus einer Karte für die restlichen Tage. Die Symbole der Farben veränderten sich ebenfalls auf die Bauernebene hin: Aus Schwertern wurden Glocken, Granatäpfel oder Sittiche und schließlich Spaten oder Pik (Tarot hat wirklich die Schwerter zu Pflugscharen gewandelt!); aus Kelchen wurden Rosen und Herzen, Stäbe gerieten zu Ahorn und Kleeblättern, die man später Kreuz nannte; Münzen zu Blättern – zum Karo. Deutsche Karten aus dem Jahre 1437 zeigten Jagdszenen mit Enten, Falken, Hirschen und Hunden. Ein späteres Spiel zeigte sechzehn Farbzeichen: Sonne, Mond, Sterne, Schilde, Kronen, Fisch, Skorpion, Katze, Vogel, Schlange und andere. Die Leute spielten Spiele mit Namen Trappola, Hazard, Bassett und Flush, und sie spielten eifrig. Die Karten waren erwachsen geworden – auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner.
Doch das vollständige Tarotspiel hielt sich als Unterart und übte starke Reize auf Menschen mit einem Hang zum Okkulten aus. Der italienische Herzog von Mailand, Philippo Maria Visconti, liebte Karten und gab ein kleines Vermögen für verschiedene Ausfertigungen aus, darunter für ein elegantes Wappenspiel, um die Heirat seiner Tochter mit dem Nachkommen der Sforza 1441 zu feiern. „Ah, das schönste der klassischen Spiele“, murmelte Bruder Paul unhörbar, als er darüber hinwegschwebte und die Karten in ihrer einstigen Pracht bewunderte. Dort gab es die Kardinaltugend der Gerechtigkeit, dargestellt durch eine Frau in einem Gewand aus gesponnenem Silber mit Schwert und Waage, und im Hintergrund galoppierte ein Ritter auf seinem Turnierpferd. Da gab es den Mond, den eine Frau in der rechten Hand hielt, während die Linke an dem Band ihres Kleides nestelte: Wenn dem Betrachter das Lunasymbol zu rätselhaft erschien, so verdeutlichte die linke Hand das weibliche Geheimnis. Ah, die Frauen, was wären sie ohne ihre kleinen Geheimnisse? Und die Karte der Welt mit einer ummauerten Stadt zwischen Meer und Himmel. Die Kardinaltugend Tapferkeit mit einem stämmigen Herkules, der den Löwen mit einer Keule erschlägt. Ein Totenskelett mit einem riesigen Bogen. Und die ‚Zeit’, mit einem leuchtend blauen Umhang über einer gelben Tunika mit dem Stundenglas in der Hand.
Aber Bruder Paul konnte nicht verweilen. Er mußte weiter, das Tarot verfolgen, wo immer es ihn hinführen mochte. Er sah ein vereinfachtes, fast cartoonartiges Tarot in Italien entstehen. Dies war für die Bauern einfacher zu begreifen und wurde in den Unterklassen sehr populär. Bald wurde es in Frankreich kopiert, und man nannte es das Marseiller Tarot. In weiteren Dekaden entwickelten sich weitere Versionen, die im berühmten Schweizer Tarot des achtzehnten Jahrhunderts gipfelten. Unglücklicherweise war der Symbolismus im Verlauf der Jahrhunderte immer weiter abgeflacht, hauptsächlich durch ‚ikonographische Transformation’ – der Fehldeutung der Bilder und wiederholter Interpretation, die auf solchen Fehldeutungen basierte. Die ‚Zeit’ verlor das Stundenglas und wurde zum Einsiedler mit der Lampe, und der Herkules der Tapferkeit wurde zu einer Frau, die sanft den Löwen bändigt, wobei man die Karte ‚Stärke’ nannte.
Experten tauchten auf, die schworen, das Tarot in seinem ursprünglichen Zustand wieder erschaffen zu können – aber wenn die Inquisition auch vorüber war, entdeckten sie doch nicht die fehlenden Karten. Graf von Gebelin befand, das Tarot sei altägyptischen Ursprungs, basierend auf der Zahl sieben: zwei mal sieben Karten bei jeder Farbe, drei mal sieben Trümpfe (plus den nicht gezählten Narren); elf mal sieben im Ganzen (plus Narr). Der Name selber, sagte er, stamme vom ägyptischen tar ab, was ’Straße’ bedeutet, und ‚ro’ mit der Bedeutung königlich. Daher übersetzte
Weitere Kostenlose Bücher