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Die hölzerne Hedwig

Die hölzerne Hedwig

Titel: Die hölzerne Hedwig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: zu KLAMPEN
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vor redseligen |37| Bürgern, die ihr die Zeit stahlen und sie zwangen, höflich zu sein.
    Ihr Mentor hatte Tausende Nächte beruflich durchwacht, hatte selbst gebackenen Kuchen gegessen und starken Kaffee überlebt,
     der ihm mitten in der Nacht aufgenötigt wurde. Nie hatte er sich damit gebrüstet, arglose Menschen ausgehorcht zu haben. Aber
     es war nahe liegend, dass sie mehr sagten als sie ursprünglich vorhatten; der geniale Ermittler besaß eine unwiderstehliche
     Art, die Menschen zum Reden zu bringen. Es wurde ihnen ein Bedürfnis, sich zu befreien von Geheimnissen, Gefühlen, Informationen.
     Er musste nichts weiter tun, als sich alles zu merken und am nächsten Tag die Ermittlungen in neue Richtungen zu lenken, die
     oft mit einer Festnahme und fast immer mit einer Verurteilung endeten. Er hatte Karolina angeboten, sie zu solchen Befragungen
     mitzunehmen. Sie hatte das stets zu vermeiden gewusst, denn sie wollte das Bild nicht beschädigen, das sie von dem Mann besaß,
     ohne den sie nicht bei der Polizei geblieben wäre.

9
    Der Entfernungsmesser zeigte 9,8 Kilometer vom Ortsausgang bis zum Parkplatz der »Hölzernen Hedwig«, größter Gasthof im großen
     Dorf mit weit über tausend Bewohnern. Der Gasthof war so wuchtig, als sei er vor hundert Jahren für eine fünfmal so große
     Gemeinde konzipiert worden. Ein Niedersachsenhaus wie aus dem Bilderbuch, Eichen mit ausladenden Kronen, kein Baum jünger
     als 100 Jahre, und die |38| ältesten hatten ihren 100. Geburtstag bereits hinter sich gehabt, als das Haus entstanden war.
    Es wurde dunkel, als die Kommissare vorfuhren. Auf dem Parkplatz standen zehn Limousinen und Kombis, fast alle mit hiesigen
     Kennzeichen. Die Heideblüte war vorüber, in anderen Orten wurden dann die Gasthöfe bis zum Frühjahr geschlossen. Dieser Betrieb
     war zu groß und wichtig, dies war keine Abfütterung für Tagesausflügler. Hier war das Kommunikationszentrum der Gemeinde.
     Hier gab es Klubräume und Kegelbahnen, den Festsaal mit Bühne. Fotografien, Wimpel und Urkunden im Flur bewiesen, wie vital
     das Vereinsleben war und dass es sich die »Hölzerne Hedwig« auserkoren hatte, um zu tagen, zu intrigieren, zu flippern und
     zu kicken und darüber das Zechen und Essen nicht zu vergessen.
    Die Kommissarin kannte die weitläufigen bayerischen Gasthöfe, in deren Gängen man sich verlaufen konnte. Hier war alles genauso
     lang und breit. Nur an der Höhe hatte man gespart.
    Das Foyer besaß die Ausmaße eines Tennisfeldes. Man musste einen Spaziergang vom Eingang zur Rezeption absolvieren, um sich
     von dem adretten Hausmädchen sagen zu lassen, welche Nummer die Zimmer trugen. Auch für Reservierungen von Hotelzimmern war
     die Stallwache im Präsidium zuständig. Das klappte stets tadellos, kein Kollege wollte sich Karolinas Unwillen zuziehen, wenn
     sie abends abgespannt ins Hotel kam und niemand auf sie vorbereitet war.
    Linkerhand lag hinter einer Wand aus Glas und Holz der Gastraum. Stimmen, klapperndes Porzellan und der Geruch, vor allem
     der Geruch.
    »Bei Fuß«, sagte Karolina, um den aufgeregten Küchenmeister |39| zu besänftigen. Erst ging es auf die Zimmer. Zweiter Stock wie gewünscht, so weit wie möglich von den Wirtschaftsräumen entfernt.
     Als Polizist durfte man sich solche Wünsche leisten, für Polizisten brachte jeder Verständnis auf. Und dass man zur Polizei
     gehörte, wurde nicht verleugnet. Dazu klappte der Bordfunk in kleinen Orten zu gut. Dieses Duell war nicht zu gewinnen. Deshalb
     spielte man mit offenen Karten und nahm den größten Nachteil gelassen in Kauf: die Neugier der Einheimischen. Auch das Mädchen,
     das die Schlüssel ausgab, vibrierte vor mühsam unterdrückter Wissbegier.
    Der Versuch, bei der Einrichtung der Zimmer alle Geschmäcker zufrieden zu stellen, hatte für eine gesichtslose, feige Einrichtung
     gesorgt. Karolinas Badezimmer war winzig, Küchenmeisters riesig. Er ignorierte ihren Blick, solange es ging. Es dauerte nicht
     sehr lange, dann wurden Schlüssel getauscht, ohne Worte.
    »Manchmal ist es ein geiles Gefühl, Chefin zu sein«, sagte sie an der Tür.
    »Mag sein, ich war noch nie Chefin.«
    Sie machte sich frisch und legte sich nicht aufs Bett, auch nicht für fünf Minuten. Die liegende Position hätte sie außer
     Gefecht gesetzt. Stehend schaute sie in den Videotext hinein. Weil sie allein war, schaltete sie gleich zum Sport und tat
     nicht erst so, als würde die Politik Vorrang besitzen. Bis auf

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