Die hölzerne Hedwig
gestorben
waren, hatten die Kinder die Hütte zum Kauf angeboten. Aber niemand wollte sie haben. Viele Einheimische lebten schon in Wohneigentum,
wer es nicht tat, konnte sich eine Immobilie nicht leisten. Die Mietpreise waren hier lange sehr manierlich gewesen, für 300
Mark kriegte man in den achtziger Jahren ein Haus mit Garten. Wenn man bereit war, einiges am Haus zu tun, konnte man zufriedenstellend
leben. Was für die Fahrt zur Arbeit ein Nachteil sein mochte – die abgeschiedene Lage – wirkte sich auf die Lebenshaltungskosten
segensreich aus.
Seit wann die Hütte Macciato gehörte, wusste man im Ort nicht. Küchenmeister gab den Rechercheauftrag in die Zentrale weiter
und wusste eine Stunde später, dass die Umschreibung im Grundbuch vor drei Jahren stattgefunden hatte.
Inzwischen war er mit Sackmann durchs Haus gegangen. Kein Möbelstück war in den letzten Jahren neu gekauft worden, entweder
hatten die Bordons möbliert gemietet oder sich gebrauchte Möbel besorgt. Alles atmete Armut und Bedürfnislosigkeit. Keineswegs
sah es heruntergekommen aus. Der Alltag war den beiden nicht über den Kopf gewachsen. Aber warum kommt man in eine Gegend,
die einem fremd ist und hat dann nichts Besseres zu tun als ein Haus, das man nie gesehen hat, an 50 Stellen anzubohren?
Sackmann scheuchte seine Kollegen auf, systematisch begannen sie, den Garten abzusuchen und wurden fündig. Auch draußen war
gesucht worden. Der Rasen gab sein Geheimnis |35| preis, man hatte Platten ausgestochen und darunter gegraben. Schmale Rinnen, so breit wie ein Unterarm, aber sehr lang. Sie
verliefen über die gesamte Breite des Grundstücks. Als wären Tiere am Werk gewesen, die in unterirdischen Gängen lebten.
Was hatten die Bordons gesucht? Und wie passte diese manische Zielstrebigkeit zur Tatsache, dass sie hier fremd waren? Hatten
sie vorher in anderen deutschen Regionen gelebt und dort genauso gehandelt?
8
Es ging auf den Abend zu, als der Anruf kam. Triumphierend rief die Stallwache: »Wir haben den Zuhälter!«
Macciato meldete sich, nachdem ihn die Kollegen in Görlitz auf der polnischen Seite der Oder aufgespürt hatten, wo er mit
Bankern Land besichtigte, auf dem ein mittelalterliches Dorf von beträchtlicher Größe entstehen sollte. In diesem Dorf konnten
sich 1200 Gäste einmieten, um in historischer Bekleidung alte Handwerke auszuüben. Abends am Lagerfeuer wurde ein klebrig-süßes
Gesöff gereicht.
Macciato hatte zugesagt, sich schnellstens auf den Weg nach Niedersachsen zu machen. Angeblich habe er betroffen und kooperativ
gewirkt. Bordon habe er nie persönlich kennengelernt, eine monatliche Miete in fester Höhe wurde auch nicht gezahlt. Am Anfang
habe Bordon so viel gegeben wie er konnte, später nichts mehr. Er wollte wieder zahlen, sobald es ihm besser gehe. Der Kontakt
sei über einen rumänischen |36| Landsmann aus Brandenburg zustande gekommen. Der habe sich für Bordon verwandt, er brauche eine Anschubhilfe und werde bald
auf eigenen Füßen stehen. Macciato habe sich nicht entziehen können.
»Ist das nicht rührend«, höhnte Küchenmeister, »ein Puffbetreiber als Menschenfreund.«
Die Kommissarin war nicht überzeugt, dass es sich bei Macciato um eine Schlägertype mit verhauener Visage handelte. Vielleicht
war er ein smarter Geschäftsmann. »Wer bei Beate Uhse angestellt ist, wird auch nicht von morgens bis abends Speichelfluss
haben«, murmelte sie.
Küchenmeister lag eine ordinäre Bemerkung auf der Zunge, er ließ sie dort liegen. Mit Schweinkram machte man bei Karolina
keine Punkte.
Das Dorf verfügte über keinen Gasthof. Ein Café öffnete nur am Wochenende und bei gutem Wetter, zehn Plastiktische im Garten
unter Obstbäumen. Fremdenzimmer gab es nicht. Der Mentor der blutjungen und hoch talentierten Karolina Wiese hatte seinerzeit
bei allen vorbildlichen Eigenschaften eine befremdliche Vorliebe besessen: Er quartierte sich gern bei Privatpersonen ein,
wenn ihn Ermittlungen in andere Orte führten. Er vertrat eine Theorie über das Eintauchen in fremde Lebenswelten, wobei stets
einige Brosamen für den Ermittler abfallen würden. Karolina sträubten sich die Haare bei der Vorstellung, in einem fremden
Wohnzimmer die Gästecouch zu belegen. Womöglich gab es Hund oder Katze, kleine Kinder oder erwachsene Bewohner, die den müden
Gast wachhalten würden, um ihn ins eigene verpfuschte Leben einzuführen. Davor fürchtete sich Karolina:
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