Die hohe Kunst des Bankraubs: Roman (German Edition)
reißen? Es hätte zu Tausenden von Toten kommen können, nein müssen, aber ihre Vorgesetzten redeten von Gebäudeschäden und Reparaturkosten. Sie hatte mithilfe eines einzelnen Zivilisten, eines gewissen Überraschungsmoments, der überheblichen Nachlässigkeit der Terroristen und einer Maxi-Portion Glück eine Tragödie verhindert. Dabei waren einige Dinge in die Luft gejagt worden. Teure Dinge. Dinge, die logistisch schwer zu bergen und wiederaufzubauen waren. Aber alles in allem ersetzbare Dinge. Materielle Dinge. Hat am 11. September 2001 irgendwer eine Träne über die Flugzeuge im Wert von mehreren Millionen Dollar vergossen? Flugzeuge haben keine Mütter, Ehemänner oder Kinder. Wasserkraftwerke auch nicht.
Dafür haben sie Besitzer, aber Angelique wollte sich nicht einreden, dass die finanziellen Folgen die Anzugträger ernsthaft interessierten, vor denen sie hinterher hatte geradestehen müssen. Selbst wenn durch ein Wunder jemand das Attentat auf das World Trade Center verhindert hätte, hätte er hinterher vor einer Front unverdienter Epauletten antreten und sich Fragen anhören müssen wie: »Warum haben Sie nicht …?« dies, und »Haben Sie denn gar nicht daran gedacht, dass …?« jenes.
Alle ihre Entscheidungen wurden minutiös rekonstruiert, die Alternativoptionen im kalten Licht des Retrospektoskops präsentiert und ihre Handlungen in einem Raum mit Klimaanlage, frischem Kaffee und Schokoladenkeksen evaluiert. Die Erwägungen ihrer Vorgesetzten wurden augenscheinlich nicht von Blei und Granatsplittern erschwert.
Vielleicht wäre das besser gewesen. In Dubh Ardrain hatte sieauf jeden Fall einen kühleren Kopf behalten als bei ihrem Tribunal. Angelique hatte sich mehrfach gerade noch zusammenreißen können, aber eine der vielen vorwurfsvollen Hypothesen brachte das Fass zwangsläufig zum Überlaufen.
»Auf der Tribüne ist jeder ein Jim Baxter, was?«, fluchte sie und sprang auf. »Unten auf dem Spielfeld sieht das Ganze schon anders aus. Vielleicht denken Sie mal daran, dass mir gerade die Kugeln um die Ohren geflogen sind, während Sie sich vielleicht ab und zu vor ’nem Golfball ducken mussten.«
»Bitte setzen Sie sich, DI de Xavia. Verstehen Sie uns nicht falsch, wir wollen Sie hier nicht unbedingt kritisieren, sondern vor allem ein präzises Bild der Geschehnisse zeichnen.«
Nicht unbedingt. Das war genug.
»Ach, fickt euch doch ins Knie!«
Ach ja, ihr eiskaltes Karrierekalkül: Man musste so eine Gelegenheit, die richtigen Leute zu beeindrucken, einfach beim Schopfe packen. Und was wäre da besser geeignet als ein Wutanfall? Der wurde ihr nachgesehen, musste sie zugeben. Ruhige Worte von weisen Köpfen, Abbitte bei alten Verbündeten, ein paar Zugeständnisse und der Ausbruch war vergessen. Vielleicht war es doch unfair, ihre Vorgesetzten der Undankbarkeit zu bezichtigen, wenn sie sich mit der Rettung von ein paar tausend Zivilistenleben genug Punkte verdient hatte, die obersten Zehntausend anzumotzen, ohne dafür rausgeworfen zu werden.
Disziplinarmaßnahmen wären unangemessen.
Ja, ihr mich auch.
Ihre direkten Kollegen waren natürlich voll des Lobes. Die, die selbst der Front am nächsten waren, verstanden am besten, was sie bewerkstelligt hatte, und sie hielten sich mit ihrer Unterstützung nicht zurück. Das ganze Schultergeklopfe und all die Solidaritätsbekundungen gaben ihr aber nur noch mehr das Gefühl, dass sie sie nötig hatte. Unterstützt wurde man, wenn der eigene Ruf auf dem Spiel stand. Es kam ihr immer weniger so vor, als könnte sie erzählen, was passiert war, und immer mehr, als müsste sie sich verteidigen.
Sie war nicht auf Bewunderung und Beifall aus. Das war nicht der Grund für ihre Unzufriedenheit. Sie hatte sich selbst für die Anonymität entschieden, als die Presse so kurz nach dem 11. September umso gieriger nach dem »Helden von Dubh Ardrain« suchte. Mehr denn je wollten die Leute glauben, dass der lange Arm des Gesetzes sie vor Terrorismus beschützen konnte; und der lange Arm des Gesetzes wollte auch mehr denn je, dass sie es glaubten. In einer Zeit kaum jemals da gewesener Verzweiflung und Panik brauchten sie nicht nur einen Helden, sondern einen Superhelden, und Angelique wusste am allerbesten, dass es so jemanden nicht gab. Glück und Zufall hatten sie den Black Spirit und seine Schergen bezwingen lassen, nichts weiter. Geheimdienstinformationen, Sicherheitsinfrastruktur, die Aufmerksamkeit der Bürger, der Scharfsinn jedes Einzelnen oder
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