Die hohe Kunst des Bankraubs: Roman (German Edition)
darauf eingestellt war, mit hochbeschleunigten Festkörpern denselben Raum zu teilen. Der Tod war in vielen verschiedenen, meist blutigen, Formen gekommen und fast immer hatte sie ihn herbeigeführt.
Es gab wenige Menschen auf der Welt, um die weniger getrauert werden würde und die es mehr verdient hatten, als diese Terroristen, aber das änderte nichts an der Tatsache, dass sich in Angeliques Gedächtnis unauslöschbare Schreckensbilder von Tod und Leid eingebrannt hatten. Zwar hatte sie ein reines Gewissen, aber sie würde trotzdem für immer mit dem Wissen leben müssen, was ihre Hände (und Füße) getan hatten.
Naja, würden ihre Vorgesetzten und Kollegen sicher sagen, dafür gibt’s doch die Therapie, oder? Und in der Schmusepolizei von heute bekam man schon einen Termin, wenn man Zeuge eines besonders traumatischen Parkverstoßes geworden war. Die Türen der Tee-und-Mitgefühl-Arbeiter standen immer offen. Angelique wollte sich aber nicht zum Wohle der Polizei von der professionellen Fürsorglichkeit eines Fremden über ihre kleinen Gefühlsproblemchen hinweghelfen lassen. Sie wollte, dass die, mit denen undfür die sie arbeitete, verstanden, dass sie mit ihren Taten in Ausübung ihrer Pflichten einen Preis gezahlt hatte, dass sie in Dubh Ardrain tatsächlich ihr Leben aufs Spiel gesetzt und gefährliche, Furcht einflößende, schmerzhafte, unerträgliche, schlicht und einfach schreckliche Dinge getan hatte. Ihre Kollegen wie auch die tattrigen, aufgeblasenen, alten Freimaurer-Vorgesetzten mussten das kapieren und nicht irgendein besserer Sozialarbeiter.
Sie musste aber zugeben, dass die mangelnde Empathie ihrer Kollegen wohl nicht unbedingt auf Gleichgültigkeit beruhte. Angelique musste jetzt ausbaden, dass sie jahrelang die Zähigkeit und Härte in Person gespielt hatte, weshalb jetzt einfach niemand damit rechnete, dass sie ein bisschen Mitgefühl vertragen könnte. Am Anfang war es eine notwendige Selbstverteidigungsstrategie gewesen. Sie war nämlich nicht von allen gleich akzeptiert worden; auch die, die nicht unbedingt Rassisten oder Sexisten waren, dachten beim Anblick einer schmalen Asiatin schnell »positive Diskriminierung« oder schlimmer, »Klotz am Bein«. Wenn man also im Allgemeinen als Nicht-Weißer oder als Frau doppelt so hart für die halbe Anerkennung arbeiten musste, musste sie in diesem Beruf viermal so hart wie alle anderen wirken und durfte sich nur ein Viertel so oft beschweren.
Nicht nur den Härten des Berufs musste sie diesen undurchdringlichen Schild entgegensetzen. Auch mit den Herabwürdigungen, Andeutungen und offenen Beleidigungen mancher Kollegen musste sie fertig werden. Dabei gab es zwei Kategorien: Die Ersten mussten angeblich unbedingt herausfinden, ob Angelique »Spaß verstand« (sie selbst hatte wohl die Konferenz verpasst, auf der diese Wichser als Beauftragte für Charakterevaluation gewählt worden waren) und sich verteidigen konnte, ohne gleich beleidigt zu sein. Zur Verleihung des Prüfsiegels »in Ordnung« durfte sie um ihren ethnischen Hintergrund »kein großes Drama« machen. Die Ironie, dass diese Männer genau das taten, blieb ihnen selbst natürlich verborgen, und Angelique versprach sich auch nicht viel davon, sie ihnen zu erklären. Das waren alles keine schlechten Menschen, sie waren nur oft etwas kindisch und kehrten ihreUnsicherheit allzu sehr nach außen. Bei manchen von ihnen hatte sie »sich ihren Respekt verdient«, andere hatten ihr ihre Masche abgekauft und betrachteten sie seither als »harte Sau«.
In die zweite Kategorie fielen die Leute, die ernsthaft etwas gegen sie hatten, die sie hassten und alles, wofür sie deren verbitterter Weltsicht nach stand. Diese Kollegen würden sie zwar nie respektieren, aber Angeliques hartes Auftreten gab ihnen immerhin zu verstehen, dass sie sie nicht verletzen konnten, so sehr sie es auch versuchten.
Das stimmte selbstverständlich nicht. Natürlich konnte man den Schutzschild durchdringen, denn ihr Image war nichts als ein Trugbild, eine Fassade. Eine Maske, die ihr dabei geholfen hatte, bei ihren Kollegen dazuzugehören, aber seit Dubh Ardrain trug sie sie eher, um zu überspielen, dass ihr diese Leute immer fremder wurden.
Sie wusste, was das hieß. Ein Gefühl der Fremdheit gegenüber Leuten, die das Ereignis nicht miterlebt hatten, war ein Lehrbuchsymptom der posttraumatischen Belastungsstörung und damit der Beweis, dass sie tatsächlich Therapie brauchte. Bloß war der einzige mögliche
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