Die hohe Kunst des Bankraubs: Roman (German Edition)
»Therapeut« Ray Ash. Nur er konnte sie wirklich verstehen und ihr mehr bieten als einstudierte Plattitüden, erlernte Empathie und freundliche Fragen – weil er dabei gewesen war. Sie waren zusammen durch die Tunnel und Räume geschlichen, teilweise knietief im Wasser, hatten sich gemeinsam vor Kugeln und Explosionen geduckt, Angst, Wut und Tod erlebt. Im Gegensatz zu Angelique hatte Rays Waffenausbildung vorher nur darin bestanden, dass er auf dem PC Quake gespielt hatte. Trotzdem kam er hinterher anscheinend besser mit der Sache klar, was ihn nur noch wertvoller als Trostspender machte.
Trost war aber keine Therapie. Zwar ging es ihr kurzfristig besser, wenn sie mit Ray sprach, doch wusste sie, dass das auf lange Sicht nicht unbedingt konstruktiv war. Besonders fair war es auch nicht. Angelique stand für das Schlimmste, was Ray und seiner Familie jemals passiert war, also durfte sie nicht vergessen, was sie mitbrachte, wenn sie ihn zu Hause besuchte. Und als Singlekonnte sie einen verheirateten Mann auch nicht unendlich oft auf einen Drink einladen.
Und das war der springende Punkt. Ray hatte sich gefangen, weil jemand zu Hause auf ihn wartete, als die letzten Kugeln geflogen waren und der Staub sich gelegt hatte. Das Ereignis hatte ihm knallhart und messerscharf gezeigt, was im Leben wirklich wichtig war. Wenn Ray jemals von den Schrecken, die er erlebt hatte, und den Dingen, die er getan hatte, heimgesucht wurde, brauchte er nur seine Frau und seine Kinder anzusehen, und alles wurde in die richtige Perspektive gerückt. Einerseits schätzte er alles, was er hatte, jetzt sicher umso mehr, weil er es fast verloren hätte, und andererseits füllte seine Familie die Gegenwart und Zukunft so wunderbar aus, dass er allen Grund hatte, Dubh Ardrain in der Vergangenheit zu lassen.
Und was wartete auf Angelique? Nur ein Job, der ihre Liebe nie erwidern würde, wie ihre Mutter einmal gesagt hatte. Im Moment fühlte sie sich von diesem vermeintlichen Liebhaber misshandelt, was umso schlimmer war, weil es ihr einziger war.
Sie hatte in der letzten Zeit, weiß Gott, eine Menge durchgemacht, aber gab es etwas Schlimmeres, als zugeben zu müssen, dass die eigene Mutter recht hatte? Ja, natürlich: Es ihr auch noch persönlich sagen zu müssen. Glücklicherweise war Angelique in ihrer Depression noch nicht in der Selbstverletzungsphase angekommen, also hatte sie dieser Erniedrigung noch widerstehen können.
Sie griff müde nach dem Shampoo und erledigte langsam das, weshalb sie sich eigentlich unter die Dusche gestellt hatte. Ach, ja. Wenigstens konnte sie ihre vernebelten Gedanken jetzt auf einen handfesten Grund lenken, warum sie heute nicht das Wasser abstellen wollte: dîner chez ses parents ce soir, die eine Sache, bei der sie fast Heimweh nach Dubh Ardrain bekam.
Der Job würde sie nie lieben, da konnte sie ihrer Mum jetzt recht geben. Sie würden sich aber weiter über deren Theorie streiten können, dass nichts anderes mehr wichtig wäre, wenn sie nur jemanden fand, der es tat. Bei ihrer Mum hörte es sich an, alswürde Angelique sich einfach ohne guten Grund weigern, sich einen Geschirrspüler anzuschaffen: Man musste es einfach nur machen und war dann garantiert glücklich damit.
Just do it, wie es in den Kinderarbeits-Werbespots hieß. Wenn du es baust, wird er kommen; und Angeliques Erfahrung nach meistens zu früh.
»Ist immer noch keiner am Horizont zu sehen?«, lautete die Ich-will-mich-ja-nicht-einmischen-Floskel ihrer Mum, auf die sie immer ein mitleidiges Lächeln folgen ließ, denn die Antwort enttäuschte mit Sicherheit jedes Mal.
»Nicht ohne ein verdammt großes Fernrohr, Mum«, wollte sie dann antworten.
Eigentlich fand Angelique die Wortwahl ihrer Mutter sogar ganz passend. Wenn es auf dieser Welt wirklich den richtigen Mann für sie gab, würde sie ihn genau am Horizont erwarten, weil man diesen Ort nicht erreichen kann. Auch einen falschen Mann hatte es schon lange nicht mehr gegeben, und Angelique kam nur im Dojo in den Genuss engen Körperkontakts, der aber nie im Leben irgendwo hinführen würde. Stewart war rücksichtsvoll, freundlich, attraktiv, verdammt gut gebaut und betörend alleinstehend, bloß hatte Angelique keine Chance bei ihm, weil sie keinen Schwanz hatte.
Vielleicht sollte sie es mal mit einer Kontaktanzeige versuchen:
Verbitterte, desillusionierte, immer verschrobenere und hochgradig gewalttätige Workaholic-Sie sucht Ihn am Horizont, um alles andere zu vergessen. Muss
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