Die hohe Kunst des Bankraubs: Roman (German Edition)
was auch immer die Leute sich einredeten, das über sie wache, hatten nichts damit zu tun. Ein einziger Zufall hatte den Unterschied gemacht, und ohne ihn hätte Großbritannien seinen eigenen Ground Zero gehabt. Es lag im Interesse der Polizei, das abzustreiten, aber Angelique wollte mit dieser Täuschungsaktion nichts zu tun haben.
Ihr Entschluss war auch von ihrem persönlichen Interesse an ihrer Privatsphäre motiviert und vor allem für ihren Beruf notwendig, wenn sie jemals wieder undercover arbeiten wollte. Ihr Name und Gesicht in allen Zeitungen würden ihr nicht nur diesen Weg verbauen, sondern sie sogar in die unausweichliche Rolle der Polizeisprecherin zwingen. Nachdem sie all die Jahre die Pläne ihrer Vorgesetzten vereitelt hatte, sie als sichtbar asiatisches und weibliches Aushängeschild abzustellen, würde sie den Teufel tun, sich gerade jetzt auf diese Rolle zu stürzen.
Nicht, dass ihr deshalb das Verhör erspart geblieben wäre. Wenn überhaupt hätten die sie dann umso mehr heruntergeputzt, damit sie den Schwindel ja nicht selbst glaubte, den sie der Öffentlichkeit über sie verkauften. Es waren eben intrigante, falsche, karrieregeile, machiavellistische, sture, konservative, hinterhältige, scheinheilige Drecksäcke; sie hatten alle Eigenschaften, die man brauchte, um ein hochrangiger Polizeientscheidungsträgerzu werden und zu bleiben. Das war keine große Offenbarung. Warum regte sie sich dann so über die Reaktionen von Leuten auf, die sie so wenig respektierte?
Das hatte den gleichen Grund wie die Tatsache, dass sie sich nicht über die Glückwünsche ihrer Kollegen freuen konnte. Sie brauchte ihren Beifall genauso wenig wie die Befragungen. Sie brauchte jemanden, der verstand, was sie in Dubh Ardrain durchgemacht hatte, der verdammt noch mal kapierte, dass es nicht einfach nur ein etwas interessanterer Arbeitstag gewesen war. Die Epaulettenträger wollten Erklärungen für die Schadensrechnung über mehrere Millionen Pfund. Ihre Kollegen wollten Geschichten darüber hören, wie sie die Bösewichte fertiggemacht hatte, während die Bombe tickte. Niemand wollte von den nächtlichen Schweißausbrüchen hören, von der Übelkeit und Schlaflosigkeit und davon, wie sie in der Lebensmittelabteilung bei Marks & Spencer schluchzend zusammengebrochen war.
Am Anfang hatte sie sich problemlos einreden können, dass es ihr gut gehe. Sie hatte ja schließlich gewonnen: alle gerettet, die Bösen unschädlich gemacht, den Black Spirit enttarnt, und sie hatte dabei nur einen Schrotflintentreffer auf die kevlarbewehrte Brust einstecken müssen. Am nächsten Morgen hatte sie das Gefühl, sie könnte das alles noch mal machen, und zwar mit links; was dich nicht umbringt, macht dich härter und so.
Das war ein Sonntag. Am Dienstag war der 11. September. Was mit ihr passieren würde, stand da schon fest, beschleunigte sich nach den Ereignissen in New York und Washington aber deutlich.
Jetzt wusste sie, dass das Gefühl von Unverwundbarkeit hinterher nur an der posttraumatischen Euphorie lag: Man kommt sich besonders lebendig vor, weil man dem Tod so nahegekommen ist. Bei Angelique war in dieser Phase auch der Adrenalinspiegel so hoch geblieben wie bei der Konfrontation mit den Terroristen. Früher oder später mussten Adrenalin und Euphorie aber abklingen und mit ihnen deren physisch und psychisch analgetische Wirkung. Gegen Ersteres kann man Ibuprofen schlucken, Letzteres überwindet man nur mit kaltem Entzug.
Panik und Abscheu schüttelten sie wie einen Spatz im Sog einer 747, als sie schließlich spürte, was sie durchgemacht hatte. Ihr war, als würden ihre Sinne alles noch einmal erleben, was ihr Kopf vorher ausgeblendet hatte, damit sie es überstand. Jede Erinnerung brachte samt Geschmack und Geruch eine Welle unterdrückter Angst mit sich, die sie über sich branden lassen musste. Was sie zu dem Zeitpunkt für unabhängige Handlungen, Eindrücke, Folgerungen, Ziele, Strategien, Reaktionen und Reflexe gehalten hatte, verschmolz und verstärkte sich jetzt, die Angst und Panik jedes Augenblicks multiplizierte sich mit der letzten in diesem gewaltigen, schrecklichen Kontext, den sie vorher nicht hatte begreifen dürfen.
Und als wäre es nicht genug damit, dass die verspätete Einsicht über sie hereinbrach, welchem Schicksal sie da entgangen war, musste sie auch noch damit fertig werden, was sie selbst getan hatte. Die Szenen demonstrierten in krassen Rottönen, dass der menschliche Körper nicht
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