Die hohe Kunst des Bankraubs: Roman (German Edition)
harte Lektionen seine wilden Instinkte etwas gezügelt hatten. Wäre Alessandro in einer besseren Phase der Organisation auf den Thron gestiegen, hätten seine Energie und Impulsivität womöglich eine bedeutende Expansion vorangetrieben; auf jeden Fall wären seine Fehler leichter abgefangen worden. Aber er war zu einer vergleichsweise kargen Zeit ans Ruder gekommen und hatte weder den Charakter, damit umzugehen, noch die Intelligenz, das überhaupt zu erkennen. Er glaubte, alles wäre eine riesige Party, seine Träume wären wahr geworden, also spielte er den großen Gangster, anstatt sich verantwortungsvoll der Realität des Jobs zu widmen.
Miguel stand ihm als Berater zur Seite, aber da die Entscheidungsgewalt allein bei Alessandro lag, konnte er auch nicht viel tun, vor allem, weil Alessandro sich oft gegen Miguels Rat wandte, um ihm zu zeigen, wer der Chef war.
Die Grenze wurde immer dichter abgeriegelt, und das Gesetz der natürlichen Auslese besagte, dass man sich anpassen musste oder aussterben würde. Die Versorgungsketten rissen ab, und die Infrastruktur musste neu aufgebaut werden. Einfach gesagt, war ihr Geschäft der Kokaintransport von Mexiko nach Kalifornien, und wenn sie dazu keine neuen Möglichkeiten fanden, waren sie Geschichte. Nördlich der Grenze schwanden ihre Vorräte, während sie sich im Süden anhäuften wie eine ausrangierte Währung.
Miguel hatte verschiedene Optionen ins Auge gefasst, aber auch die unausweichlichen Folgen jeder einzelnen geschildert. Die neuen Methoden würden zumindest zeitweilig eine langsamere, kleinschrittigere Versorgung bedeuten, was natürlich auch die Gewinne senken würde. Gleichzeitig mussten sie sich mit der Möglichkeit befassen, ihren Überschuss vielleicht stark reduziert südlich der Grenze abzustoßen, damit sie ihn nicht komplett bei einer Razzia der Polizei oder einem Überfall der Konkurrenz verloren, die über kurz oder lang Wind davon bekommen würden.
Alessandro hatte aber eine bessere Idee gehabt.
Er kannte in Mexiko einen Bildhauer, Pepe Nunez, der sich gerade einen großen Namen machte. Nunez arbeitete mit Metallen, auch mit Blei, das sich zum einen leicht formen lässt und zum anderen für Röntgenstrahlen völlig undurchdringlich ist. Alessandros genialer Einfall bestand darin, dass Nunez ihm ein trojanisches Pferd für seinen Kokainüberschuss bauen sollte: Nunez sollte es in eine hohle Bleistatue füllen, die dann von einem Galeristen in LA ›gekauft‹ werden würde. Das Zeug sollte luftdicht verschlossen sein, und die Statue würde mit dem Sandstrahlgebläse bearbeitet werden, um jegliche Spuren zu beseitigen. Alessandro bestand außerdem darauf, dass die Statue als Absicherung und doppelte Irreführung einen Kerl darstellen sollte, der eine Line Koks schniefte.
Nunez war schon bekannt, also wurde ein Journalist mit Fotograf zu ihm eingeladen, dessen Artikel über dieses kontroverse Werk noch vor dem Export in der LA Times abgedruckt wurde. Briefe wurden geschrieben, Beschwerden eingereicht, und trotz der aufgebrachten Proteste der liberalen Szene über diese Beschneidung seiner Kunst versicherte Nunez der Polizei, dass das echte Kokain der Installation vor dem Transport durch Babypuder ersetzt werden würde. Das hieß natürlich, dass es eine allgemein bekannte und dokumentierte Erklärung gab, falls die Hunde beim Zoll doch anschlügen. Natürlich können sie Kokainspuren riechen, das war ja Teil der Installation, aber jetzt ist es weg, und außerdem, Officer, sehen Sie denn nicht, dass es sich um Kunst handelt?
Ziemlich gerissen, bis auf die Tatsache, dass Alessandro Nunez mit dem Tod drohte, statt ihn zu bezahlen, und einem Verzweifelten kann man nicht trauen. Das tat Alessandro auch nicht: Er ließ Nunez nackt und unter ständiger Überwachung arbeiten, bis die Statue fertig war. Auch hinterher wurde sie rund um die Uhr von wechselnden Mitarbeitern kontrolliert. Dummerweise achteten die nur darauf, dass Nunez (oder sonst jemand) den Stoff in Ruhe ließ, und waren ansonsten nicht allzu misstrauisch.
Die hinterhältige Ratte kippte dem diensthabenden Idioten eines Abends etwas ins Bier und setzte ihn außer Gefecht. Als der arme Trottel aufwachte, waren Nunez und die verdammte Statue verschwunden. Sie hörten erst wieder davon, als sie in einem Museum in Schottland auftauchte, wo sie problemlos durch den Zoll gekommen war, weil die örtliche Presse den Artikel aus der LA Times gefunden hatte. Dass der Künstler selbst wie vom
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