Die Holzhammer-Methode
Ringerkumpel ihm in die Rippen pikte.
Später, nachdem sich die beiden verabschiedet hatten, fuhr Matthias Christine nach Hause. Auf der Fahrt wechselten sie kaum ein Wort – und trotzdem fühlte Christine sich so wohl und geborgen wie schon lange nicht mehr. Hin und wieder sah sie zu Matthias hinüber, wie er den Wagen ruhig durch die Dunkelheit lenkte.
Als er ihr in der Auffahrt zur Pension Schön die Beifahrertür öffnete, stieg sie langsam aus. Dann küsste sie ihn völlig unvermittelt auf den Mund. Matthias wirkte weder überrascht, noch verstand er die Geste als Aufforderung, Christine aufs Zimmer zu begleiten. Er wünschte ihr eine gute Nacht und sah ihr hinterher, bis sie in der Eingangstür verschwand.
Am Mittwochmorgen war Dr. Klaus Fischer pünktlich wieder an seinem Arbeitsplatz. Er war der Erste, natürlich, denn Holzhammer pflegte es ja mit den Schichtzeiten nicht so genau zu nehmen, was Fischers Laune weiter verschlechterte. In München war es mies gelaufen. Die wichtigen Leute waren ihm aus dem Weg gegangen, er hatte kaum ein Wort in eigener Sache anbringen können. Es sah so aus, als würde er noch für lange Zeit in diesem Nest festsitzen. Auch die Bedingung, die er damals bei seinem Rückzug in die Provinz ausgehandelt hatte, half da wahrscheinlich nichts. Sein Verbannungsort war auf sein Drängen von der einfachen Polizeiinspektion zur Kriminalstation aufgewertet worden, was bedeutete, dass er nicht jeden größeren Fall an eine andere Stelle abgeben musste. Er hatte sich davon erhofft, einmal die Chance zur Aufklärung eines vielbeachteten Kapitalverbrechens zu bekommen, um sich in München wieder in Erinnerung zu bringen.
Man hatte ihn auf ein paar Lehrgänge geschickt und ihn kurzerhand vom Polizeioberrat zum Kriminaloberrat umdekoriert. So war er nun Leiter der Polizeiinspektion und gleichzeitig seine eigene Kripo. Seit er hier war, hatte es jedoch noch keinen einzigen Fall gegeben, der auch nur die leisesten kriminalpolizeilichen Ermittlungen erfordert hätte.
Während Fischer in diese trüben Gedanken versunken durchs Fenster auf den Watzmann starrte, wurde plötzlich die Bürotür aufgerissen, und Holzhammer stand im Raum. Der hatte draußen schon den Wagen seines Chefs stehen sehen und wusste, dass er nun alles würde berichten müssen. Alles – das hieß, nicht nur die Geschichte mit Resis Brotaufstrich, sondern vor allem auch die völlig illegale Entnahme diverser Proben und Körperflüssigkeiten aus den beiden inzwischen abgereisten Leichen. Auf in den Kampf.
Holzhammer erzählte schnell und knapp. Der Anruf aus Hannover, die Gläser, seine Sammelaktion, zwei verschiedene Pflanzengifte, drei Tote. Schließlich kam er zu den von Christine entnommenen Proben. Beim jungen Alexander Klein Amanitin, aus dem Knollenblätterpilz, bei Mathilde Zechner Aconitin, aus dem Eisenhut.
Fischer konnte nicht fassen, was er da hörte. Der erste und bisher einzige Kriminalfall im Landkreis, mit dem er seine Karriere retten konnte, und er war nicht da gewesen. Und sein Untergebener vermurkste die Sache von vorne bis hinten, bevor er selbst überhaupt eine Chance hatte einzugreifen. So stellte sich dem ehrgeizigen Kriminaloberrat die Sache zumindest dar, weil er mal wieder automatisch alle eigenen Versäumnisse ausblendete. Dass er schon bei den beiden ersten Leichen hätte schalten müssen, ja dass ihn Holzhammer sogar direkt dazu aufgefordert hatte, sie obduzieren zu lassen – das verdrängte er.
«Was für eine Riesenschlamperei!», brüllte Fischer los. «Warum wurde ich nicht verständigt?»
«Ich hab es dauernd versucht», antwortete Holzhammer, ohne das Gefühl zu haben, dass er sehr log. Er hatte die Nummer gestern Abend einmal gewählt, und da war besetzt gewesen.
In Fischers Gehirn fanden mehrere Gedankengänge gleichzeitig statt. Was bedeutete das alles für ihn persönlich? Was würde die Presse sagen? Was würde man in München sagen? Und wie konnte er den Fall jetzt vielleicht doch noch retten? Wie konnte man vertuschen, was alles versäumt worden war? Das Entscheidende würde sein, dass er zum ersten Mal in seinem Leben denken musste wie ein Kriminaler. Möglichst wie ein guter Kriminaler. Doch es fiel ihm schwer, seine Gedanken tatsächlich auf den Fall zu fokussieren. Seine eigenen Interessen funkten immer wieder dazwischen. Erst als er sich klarmachte, dass beides diesmal das Gleiche war, kam sein Gehirn wirklich zielgerichtet in Gang. Dann brüllte er wieder los: «Was
Weitere Kostenlose Bücher