Die Holzhammer-Methode
Fahrrad steht. Mit einer Holzkiste hintendrauf. Besonders am Bahnhof.»
Viel mehr konnte er im Moment nicht tun. Erst jetzt merkte der gestandene Hauptwachtmeister, wie aufgewühlt er war. Was war hier eigentlich passiert? Die Frau hatte völlig unbekannte, unschuldige Menschen ermordet. Warum? Er wollte mit jemand darüber sprechen, der ihn weder anbrüllte, wie sein Chef, noch in Hysterie verfiel, wie es von seiner Frau zu erwarten war, wenn er ihr erzählte, dass sie jahrelang eine Serienmörderin beim Einkaufen gegrüßt hatte. Er entschloss sich, ins Krankenhaus zu fahren.
Dort war bereits alles vorbereitet gewesen, als der Krankenwagen mit Christine und Matthias an Bord ankam. Man hatte sich schon vor Tagen auf einen möglichen weiteren Vergiftungsnotfall eingerichtet. Ohne seinen Chef um Erlaubnis zu fragen, hatte Holzhammer der Notaufnahme nämlich einen Tipp gegeben, mit der Bitte, die Sache vertraulich zu behandeln. Doch selbst das sofortige Auspumpen des Magens und das Stabilisieren der Körperfunktionen hätten nichts genützt, wenn die Dosis nur um eine Kleinigkeit höher gewesen wäre. Denn ein echtes Gegenmittel gegen die bei Christine verwendeten Pflanzengifte gab es nicht. Zumal es sich um einen ganzen Cocktail von Substanzen handelte. Während die vorangegangenen Morde jeweils mit dem Gift einer einzigen Pflanze begangen worden waren, hatte die Kräuterhexe Christine ein komplexes Gemisch verabreicht.
«Möglicherweise sogar in der Absicht, sie eben nicht zu töten, sondern nur lange genug außer Gefecht zu setzen», wie der Oberarzt Matthias erklärte. Allerdings waren die Lähmungserscheinungen so stark, dass sie mit fortschreitender Zeit auch lebenswichtige Organe erfasst hätten. Matthias hatte den Krankenwagen gerade noch rechtzeitig gerufen. Seine Überpünktlichkeit hatte Christine das Leben gerettet. Trotzdem lag sie noch in einem komaähnlichen Schlaf, in den die Ärzte sie zur Erholung versetzt hatten. Aus ihren Unterarmen ragten zwei verschiedene Zugänge, durch die kontinuierlich Arzneimittel in ihren Körper flossen. Für Matthias sah es beängstigend aus, wie sie da so verdrahtet und verstöpselt in dem weißen Krankenhausbett lag. Es hatte etwas von Aufbahrung, und nur die Aussage der Ärzte, dass das Schlimmste bereits überstanden sei, hielt ihn aufrecht. Er saß auf dem Besucherstuhl neben dem Bett und den vielen Geräten und hielt ihre Hand.
Als Holzhammer am Empfang nach Christine fragte, wollte man ihn zunächst nicht zu ihr lassen. Schließlich lag sie auf der Intensivstation. Der Polizist ließ daraufhin den Oberarzt holen, und der brachte ihn dann höchstpersönlich zu seiner Patientin. Da keine akute Gefahr mehr bestand, konnte er es verantworten. Außerdem hatte er dabei die Gelegenheit, Holzhammer nach dem Stand der Ermittlungen zu fragen. Die Giftmorde interessierten ihn schließlich auch aus beruflicher Perspektive. Holzhammer sah keinen Grund, mit seinem Kenntnisstand hinter dem Berg zu halten.
«Beachtlich, diese Kräuterhexe», meinte der Arzt, «die weiß offensichtlich mehr über Pflanzengifte, als man an den meisten Unis lernt.»
«Wie man Leute umbringt, ist ja auch kein wirklich sinnvolles Wissen für einen Arzt, oder?», antwortete Holzhammer.
«Na ja, früher gehörte das eng zusammen, Heil und Unheil. Da hatte man ja nichts anderes als die Pflanzen. Denken Sie nur an das Digitalis aus dem Fingerhut – die erste Arzneipflanze der modernen Medizin. Gut bei Herzschwäche, aber schon bei geringer Überdosierung tödlich. Bei Digitalis liegt die letale Dosis nur sechzig Prozent über der wirksamen. Man nennt das die therapeutische Bandbreite, und die ist bei pflanzlichen Drogen oft sehr gering. Und das, wo die Anteile an wirksamen Bestandteilen bei Pflanzen sowieso schon erheblich schwanken. Deshalb musste man sich auch früher mit den Arzneigaben Schritt für Schritt bis zur Wirksamkeit herantasten. Bei den modernen Arzneimitteln weiß man nicht nur haargenau, was drin ist, sondern man kann oft hundertfach überdosieren, ohne dass etwas wirklich Schlimmes passiert.»
Holzhammer nickte geistesabwesend. Ihn interessierte im Moment eigentlich nur, ob es Christine gutging. Der Arzt öffnete die Tür, warf einen kurzen Blick hinein, nickte zufrieden und ließ Holzhammer eintreten. Der Blick des Hauptwachtmeisters fiel zuerst auf die tickenden und pumpenden Geräte, die grünlichen Anzeigen auf schwachbeleuchteten Displays, den Tropf und die Schläuche.
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