Die Holzhammer-Methode
Feriengästen im Schritttempo über die Bundesstraße kroch, weil die Insassen die Landschaft genossen. Aber heute war er mit Christine verabredet. Kurz hinter Hallthurm musste er einmal voll in die Eisen gehen, um nicht in das Fahrzeug vor ihm hineinzurauschen. Viele Touristen traten an dieser Stelle unwillkürlich auf die Bremse, da sich unversehens der Blick auf den Watzmann öffnete. Als könnten sie den Berg nicht noch die ganze Woche ausgiebig von allen Seiten bestaunen.
Trotz dieser Hindernisse war Matthias pünktlich zu Hause. Genau genommen sogar noch ein paar Minuten zu früh. Aber Christines Auto stand schon vor dem Nachbarhaus. Matthias freute sich. Er eilte in seine eigene Wohnung, um sich umzuziehen – die Krawatte von sich zu werfen. Kurze Katzenwäsche, Jeans und T-Shirt angezogen. Eigentlich waren sie bei ihm verabredet, aber Matthias beschloss, Christine aus ihrer Pension abzuholen.
Vor dem Nachbarhaus begegnete er zwei der unvermeidlichen Katzen. Doch sie wichen ihm aus. Matthias schaute zu Christines Balkon hinauf – nichts zu sehen. Er ging zur Haustür. Er läutete, doch als niemand antwortete, trat er einfach ein.
Im Hausflur war nichts zu hören. Die Wirtin war offensichtlich nicht da, sonst hätte sie ihn schon längst zurechtgewiesen. Er war noch nie in Christines Zimmer gewesen, aber da er wusste, wo ihr Balkon war, fand er auf Anhieb die richtige Zimmertür im ersten Stock. Er wollte gerade anklopfen, als er bemerkte, dass der Zimmerschlüssel von außen steckte. Bestimmt hatte sie ihn aus Versehen dort stecken lassen. Er klopfte und rief gleichzeitig Christines Namen. Keine Antwort. Er drückte die Klinke hinunter. Die Tür war abgeschlossen. Aber von außen? War sie doch noch nicht da und hatte den Schlüssel morgens vergessen? Oder die Hauswirtin hatte ihn nach dem Bettenmachen stecken lassen. Aber Christines Auto stand doch draußen. Wo konnte sie sonst noch sein? Nach kurzem Zögern entschied er, dass sie es ihm kaum übel nehmen würde, und schloss die Tür auf.
Matthias erstarrte. Da lag Christine regungslos auf dem Bett, vollständig bekleidet, als hätte sie sich nur kurz ausruhen wollen. Aber irgendwie lag sie seltsam da – zu steif, zu gerade. Wie eine Puppe im Karton. Oder ein Mensch im Sarg. Mit drei Schritten war er bei ihr und kniete vor dem Bett. «Christine!», rief er.
Sie rührte sich nicht. Er fasste einen ihrer Arme und hob ihn etwas an. Der Arm fühlte sich warm an, aber völlig leblos und schlaff. Was war bloß mit ihr, sollte er sie so schnell wieder verlieren? Das konnte doch nicht sein Karma sein. Er riss sein Handy heraus und rief die Rettung an: «Beeilt euch! Um Gottes willen!» Als Buddhist glaubte er an keinen Gott, aber die Redensart war ihm geblieben.
Im gleichen Moment, in dem er auflegte, hörte er ein Martinshorn. Das konnte unmöglich schon der Krankenwagen sein. Matthias sah aus dem Fenster. Zwei Polizeiwagen preschten in die Einfahrt. Aus dem ersten Wagen stürzte Hauptwachtmeister Franz Holzhammer. Matthias öffnete die Balkontür und rief hinunter: «Christine ist bewusstlos!» Das war das Einzige, woran er im Moment denken konnte.
«Okay, ich alarmier den Krankenwagen!», rief Holzhammer zurück, der sich gar nicht zu wundern schien.
«Hab ich schon!», rief Matthias, der überhaupt nicht verstand, was Holzhammer hierher führte.
«Ist sie vergiftet?», fragte der Polizist.
«Wie soll ich das wissen!», schrie Matthias verzweifelt zurück.
«Schon gut, ich komm rauf.»
Eine Minute später betrat der Polizist das Zimmer. Nach einem Blick auf Christine sagte er: «Ich ruf schon mal im Krankenhaus an, dass sie gleich eine Vergiftung kriegen. Dann können die vielleicht schon was vorbereiten.»
Matthias war heilfroh, dass er jetzt Unterstützung hatte. Holzhammers Gegenwart hatte etwas Beruhigendes. Matthias war normalerweise ja selbst ziemlich gelassen, aber hier ging es um Leben und Tod. Er verstand noch immer nicht, wie der Polizist überhaupt auf eine Vergiftung kam, aber er hatte viele Filme gesehen. Und er wollte etwas tun. «Vergiftung? Sollten wir sie dann nicht bewegen? So, wie sie es im Fernsehen immer machen, wenn jemand zu viele Schlaftabletten geschluckt hat?»
Holzhammer stimmte zu. Sie fassten die völlig erschlaffte Christine von beiden Seiten und schleiften sie wie einen Sack Kartoffeln im Zimmer auf und ab. Christine schlief weiter. Während sie auf den Krankenwagen warteten, erzählte Holzhammer Matthias schnaufend,
Weitere Kostenlose Bücher