Die Homoeopathie-Luege
Organon, § 269), was er »Dynamisierung« nannte und vom bloÃen Verdünnen ohne Reiben und Schütteln abgrenzte. Alles passte plötzlich zusammen: Losgelöst von stofflich-irdischen Dingen spielten sich Gesundheit, Krankheit und jetzt auch die Arzneiwirkung und Heilung allesamt in geistigen Sphären ab: »Nur durch geistartige Einflüsse der krankmachenden Schädlichkeit kann unsere geistartige Lebenskraft erkranken, und so auch nur durch geistartige (dynamische) Einwirkungen der Arzneien wieder zur Gesundheit hergestellt werden« ( Organon , Inhaltsangabe zu § 16).
Man müsse, um die geistartigen Heilkräfte aus ihrem stofflichen Karzer zu befreien, strikt folgende Prozedur einhalten ( Organon , § 270): Man verreibe eine Stunde lang ein Gran (etwa 64 Milligramm) der trockenen oder öligen Ursubstanz mit 100 Gran Milchzucker, um eine Mischung mit einem Anteil von 1/100 Arzneisubstanz zu erhalten. Man wiederhole die Prozedur noch zweimal, sodass man zu einer Mischung mit 1/10000 und einer mit 1/1000000 der Arzneisubstanz gelangt. »Dies sind die drei Grade der trockenen Pulver-Verreibung, welche wohl vollführt, schon einen guten Anfang zur Kraftentwicklung (Dynamisation) der Arzneisubstanz bewirkt haben.«
Vom letzten Pulvergemisch nehme man 1 Gran und löse es in 500 Tropfen (je Tropfen etwa 50 Milligramm) einer Flüssigkeit aus 1 Teil Weingeist und 4 Teilen destilliertem Wasser. Von dieser Lösung, in der die Arzneisubstanz noch etwa in einer Konzentration von 1/500000000 enthalten ist, fülle man 1 Tropfen in ein Fläschchen und gebe 100 Tropfen Weingeist hinzu. Dieses Fläschchen, in dem sich die Arzneisubstanz in einer Konzentration von 1/50000000000 befindet, pfropfe man zu und gebe ihm »100 starke SchüttelstöÃe mit der Hand gegen einen harten, aber elastischen Körper geführt, etwa auf ein in Leder gebundenes Buch«. Dies ist, schreibt Hahnemann, »die Arznei im ersten Dynamisations-Grade«. In Hahnemanns Arzneiarsenal besitzen also selbst die konzentriertesten Mittel eine kaum vorstellbare Verdünnung von einem Milliliter auf 50 Millionen Liter. Das ist so viel wie der Inhalt eines Fingerhuts verteilt auf die Gesamtmenge an Glühwein, die im Jahr 2010 in Deutschland getrunken wurde.
Die eigentliche Verdünnungsprozedur nimmt hier aber erst ihren Anfang. In der 6. und letzten Auflage des Organon hat Hahnemann den weiteren Weg der Arzneizubereitung überarbeitet, indem er die Lösung »im ersten Dynamisations-Grade« nicht mehr in 10er- oder 100er-Schritten verdünnt, sondern in 50000er-Schritten. Er distanziert sich explizit von seinen bisherigen Anweisungen: »â¦Â nach der anfänglichen Vorschrift ⦠war dies Verhältnis des Verdünnungs-Mediums zu der, darin zu dynamisierenden Arznei-Menge, (100 zu 1) viel zu eng beschränkt, als dass eine Menge solcher Schüttel-Schläge, ohne groÃe Gewalt anzuwenden, die Kräfte der angewendeten Arznei-Substanz gehörig und in hohem Grade hätten entwickeln können«. Er begründet seinen Sinneswandel nicht theoretisch, sondern empirisch: Die nach dem verbesserten Verfahren hergestellten Präparate habe er »nach vielen mühsamen Versuchen und Gegenversuchen als die kräftigsten und zugleich mildest wirkenden, d.i. als die vollkommendsten befunden«.
Seine neue Anweisung: Mit der homöopathischen Urarznei »im ersten Dynamisations-Grade« befeuchte man »feine Zucker-Streukügelchen«, die vom Zuckerbäcker aus Stärkemehl und Rohrzucker gefertigt werden und jeweils etwa 1/100 Gran wiegen, breite sie schnell auf FlieÃpapier aus und trockne sie. Diese Kügelchen stellen den »ersten Potenz-Grad« dar. Davon nehme man ein Kügelchen, löse es in einem Tropfen Wasser und verschüttele es mit 100 StöÃen in 100 Tropfen Weingeist und benetze weitere Kügelchen, die dann den »zweiten Potenz-Grad« darstellen. Die Verdünnung von 1:50000 ergibt sich, weil etwa 500 Kügelchen nur einen Tropfen Flüssigkeit aufnehmen können. Nach 30 solcher Potenzierungsrunden entstünden aus der »rohen Arzneisubstanz« dann »geistige Arznei-Flüssigkeiten« mit ganzer Wirkkraft.
Die Prozedur befreit dabei laut Hahnemann nicht nur Kräfte, die bereits bei der rohen Substanz sichtbar sind: Das Verreiben und Schlagen setze geistartige Arzneikräfte auch bei Substanzen frei, die in
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