Die Homoeopathie-Luege
pompöse Perücken trugen. Seit 275 Jahren haben Generationen von Apothekern in dem Backsteinbau die Bewohner mit Arzneien versorgt und ihnen wohl auch mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Die hohen, hellen Holzregale der heutigen Apotheke machen die ehrwürdige Tradition spürbar. Sie sind mit Säulchen verziert und mit zwei Heiligenstatuen, diversen Mörsern und StöÃeln, alten Glas- und PorzellangefäÃen sowie einer als Ãskulap-Statue gestalteten Waage hübsch bestückt. Bis in Griffhöhe stapeln sich die Medikamentenschachteln. Man muss schon ein wenig suchen, um zwischen Klosterfrau-Saft, Seefischölkapseln und Bachblüten-Pastillen ein bescheidenes Regalfach mit homöopathischen Kügelchen zu entdecken.
Bis vor wenigen Jahren stand bei den Bewohnern die Martins-Apotheke im Ruf, eher alternativ ausgerichtet zu sein, und die Post-Apotheke, sich eher auf die Erzeugnisse der chemisch orientierten Pharmaindustrie zu konzentrieren. Seit 2008 werden beide gleich geführt, denn seitdem haben sie mit Sina Petritch dieselbe Inhaberin. Petritch ist eine freundliche, junge Frau, die allem Anschein nach ihren Beruf mit groÃer fachlicher Neugierde und Zugewandtheit zu ihren Kunden ausübt. Sie hat, wie alle anderen Apotheker auch, ein streng naturwissenschaftlich orientiertes Pharmaziestudium absolviert â mit den Disziplinen Physik, Chemie und vor allem der Arzneimittelkunde.
Doch nur wenig davon, sagt Petritch, bereitete sie auf den späteren Beruf als Apothekerin vor. So erschien es ihr nur konsequent, sich auch jenseits der Naturwissenschaften fortzubilden, schlieÃlich sind alternative Heilmethoden in den Medien ein wichtiges Thema, also wohl auch für die Kunden. Petritch besuchte eine aufwendige Fortbildungsveranstaltung der Apothekerkammer Niedersachsen und darf sich seitdem »Fachapothekerin für Naturheilkunde und Homöopathie« nennen. Sie tut es aber nicht. Sie will auch nicht, dass sie in diesem Buch erwähnt wird â auch wenn sie an den Passagen, die sie betreffen, nichts auszusetzen hat â, weshalb sowohl ihr Name als auch die Namen der Apotheken geändert sind. Sie fürchtet, dass ihre Kunden ihr die Kompetenz in der »chemischen« Pharmazie absprechen könnten, wenn sie ihr Fachwissen in den »alternativen« Richtungen zu sehr herausstellen würde. So taucht der Begriff »Homöopathie« nur in einem relativ unscheinbaren Schriftzug auf der Glasfront des Eingangs zur Post-Apotheke auf. Das ist durchaus stimmig: SchlieÃlich will Petritch zwar auf die Wünsche der Kunden etwa nach Homöopathika eingehen, aber sie will nicht missionieren. Ihre Hauptaufgabe sieht sie vielmehr darin, Kunden vor einer Ãberschätzung der Mittel zu bewahren.
Unter Apothekern finden sich, so meinen Experten unisono, Vertreter aller Couleur: von streng naturwissenschaftlich bis hin zu offensiv »alternativ« ausgerichteten. Die groÃe Mehrheit dürfte jedoch die pragmatische Haltung Sina Petritchs teilen: Auf der einen Seite weià sie, dass bei behandlungsbedürftigen Krankheiten kein Weg an nachgewiesen wirksamen Pharmapräparaten vorbeiführt, aber sie weià genauso um deren teilweise schweren Neben- und Wechselwirkungen, die sogar bereits eingeführte Medikamente wieder vom Markt verschwinden lieÃen. Auf der anderen Seite will sie auch diejenigen Kunden nicht verprellen, die Bagatellerkrankungen mit »sanfter« Medizin, sprich nebenwirkungsfreien Mitteln, behandeln möchten. Dieser Nachfrage versucht sie mit gröÃtmöglicher Sachkunde zu begegnen.
Wie auch immer Apotheker ihre Schwerpunkte setzen, sie stecken im selben Zwiespalt wie die Ãrzte: Ihre naturwissenschaftliche Ausbildung reibt sich gehörig am Glauben der Kunden an die Heilkraft von Globuli â und oft auch an ihrem eigenen. Die Patienten kümmert dieser Zwiespalt nicht. Sie fordern nichts Geringeres als eine sowohl wirksame als auch nebenwirkungsfreie Medizin, was nur leider ein Ding der Unmöglichkeit ist, da jeder erwünschten Wirkung auch unerwünschte Aspekte innewohnen, also Wirkungen untrennbar mit Nebenwirkungen verknüpft sind. Wie Ãrzte und Apotheker sich da durchlavieren und dabei das Vertrauen der Kunden in ihr Fachwissen einlösen, ist ihre Sache. Apotheker trifft es dabei besonders hart, weil sie, auch wenn manche das nicht gern hören, eher die Rolle eines Dienstleisters einnehmen: Was
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