Die Homoeopathie-Luege
undurchschaubar: Verschreibt mir mein Arzt ein bestimmtes Medikament, weil es für mich nach dem Stand der Wissenschaft das beste ist oder weil er kürzlich Besuch vom Pharmaberater erhalten hat? Legt mir der Apotheker eine spezielle Packung auf den Tresen, weil er gerade das neue Werbematerial für seine Apotheke bezahlt bekommen hat? Macht mich die Heilpraktikerin auf ein bestimmtes Homöopathikum aufmerksam, weil sie kurz zuvor in einer Schulung von dessen Hersteller gesessen hat?
Man kann nicht davon ausgehen, dass sich die Industrie freiwillig von ihren etablierten Marketingwerkzeugen verabschiedet. Es ist erwähnenswert, dass konventionelle Pharmafirmen aus dem Verband Forschender Arzneimittelhersteller 2004 wenigstens den Verein »Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie« gründeten. Der Verein hat unter anderem einen Verhaltenskodex für die Zusammenarbeit mit Ãrzten, Apothekern und anderem medizinischem Fachpersonal erarbeitet und kann bei VerstöÃen Unterlassungserklärungen und Ordnungsgelder fordern. Zumindest von den Firmen, die dort Mitglied sind. Gegenüber externen Unternehmen ist er hingegen ziemlich machtlos. Ohnehin gilt der Kodex unter Kritikern als schwammig, und manches Beanstandungsverfahren wurde schon wieder fallen gelassen. Und da Homöopathika-Produzenten nicht zum Verband »forschender« Arzneimittelhersteller gehören, sind sie ohnehin noch nicht einmal diesen Regeln der freiwilligen Selbstkontrolle unterworfen.
Dass der Gesetzgeber bisher klaffende Lücken gelassen hat bei der Frage, wie Pharmareferenten mit Ãrzten umgehen dürfen, trat im Sommer 2012 unangenehm zutage: Da entschied der GroÃe Senat für Strafsachen am Bundesgerichtshof, dass Kassenärzte ganz legal Schecks oder andere Geschenke von einer Pharmafirma dafür annehmen dürfen, dass sie besonders häufig deren Medikamente verordnen. Kein Gesetz in Deutschland verbietet es ihnen, und hier besteht nicht nur aus unserer Sicht dringender Handlungsbedarf.
Die Kontrolle über die Ãrzte-Fortbildung hat der Gesetzgeber bisher weitgehend in die Hände der Landesärztekammern gelegt. Sie geben den Schulungen ihren offiziellen Segen und zertifizieren sie. Zwar schreibt das Sozialgesetzbuch vor, dass die Fortbildung der Kassenärzte »frei von wirtschaftlichen Interessen« sein muss, worauf die Kammern zu achten haben. Das scheint aber angesichts des groÃen bunten Angebots nicht immer gewährleistet. Bei Beanstandungen wurde von Kammerseite anscheinend schon mal auf personelle Ãberforderung verwiesen. Im Bereich der Fortbildungsnachweise für Apotheker oder Heilpraktiker sind dem Einfluss der Industrie Tür und Tor sogar noch weiter geöffnet. Hier kann letztlich jeder frei auswählen, welche Fortbildungen er besucht und wozu er sich einladen lässt.
Dass es viele Ãrzte mit Problembewusstsein gibt, die durchaus Distanz zur Industrie wahren wollen, zeigt das Beispiel des Vereins »Mein Essen zahl ich selbst« (MEZIS). Ãber die Initiative sind etwa 30000 Ãrzte organisiert, der gröÃte Teil davon über die Kassenärztliche Vereinigung Bayern. Diese Mediziner wollen sich nicht mehr von der Industrie einladen und beeinflussen lassen. Auch einige Apotheker unterstützen die Arbeit von MEZIS. Ein Beispiel, das Schule machen sollte, unter konventionell wie unter alternativ tätigen Medizinern, unter Pharmazeuten und Heilpraktikern.
Auch Politikern und Behörden stünde es gut zu Gesicht, die homöopathische Industrie mit etwas Abstand als das zu betrachten, was sie ist: als einen Teil der Arzneimittelbranche, der gut organisiert seine wirtschaftlichen Interessen vertritt und sich im Gesundheitssystem mithilfe seines alternativen Blümchen-Images eine Sonderstellung erkämpft hat. Allerdings sind in einem evidenzbasierten Gesundheitssystem keine Blümchen gefragt, sondern wissenschaftlich stichhaltige Antworten auf die Frage, welches Arzneimittel am Ende für die Patienten den gröÃten Nutzen hat.
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Im Reich der Pharmazie:
Fragen Sie Ihren Apotheker
Die beiden Apotheken der schmucken Kleinstadt liegen in Sichtweite zueinander: die Post-Apotheke am zentralen Platz direkt neben der Kirche und die Martins-Apotheke etwa 200 Meter die HauptstraÃe hinunter. Die Post-Apotheke stammt aus einer Zeit, in der noch Pferdekutschen über das Kopfsteinpflaster rumpelten und die Menschen
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