Die Horde 1 - Der Daemon des Kriegers
den strengen Vater zu spielen, trotz seines Versuchs, den beiden aus dem Weg zu gehen.
»Es ist Königstag, hab ich recht?«, fragte er und trat aus seiner Deckung, damit die spielenden Kinder ihn sehen konnten. »Solltet ihr nicht in der Stadt sein?«
Der Königstag in Chelenshire war der Tag in der Woche, an dem der Bürgervogt und die Priester die Kinder der Gemeinde um sich scharten, um sie in Lesen, Geschichte und Religion zu unterweisen. Die Eltern von Chelenshire verehrten diesen Tag mit noch größerer Dankbarkeit als den richtigen Gottestag.
»Vater …« Mellorin seufzte, und es gelang ihr irgendwie, dieses Wort so stark zu dehnen, als hätte es vier Silben zusätzlich. »Der Unterricht war schon vor Stunden.«
»Aha.« Corvis warf einen Blick auf den Stand der Sonne. »Ich nehme an, da hast du recht. Und was genau macht ihr beide gerade?«
Er knurrte, mehr vor Überraschung als vor Schmerz, als ein dünner Stock ihn an den Schienbeinen traf.
Lilander stand neben ihm und hielt sein Schwert mit ernstem Gesicht vor sich. »Ich bin Nafnal«, verkündete er stolz.
Corvis hob eine Braue und sah hilfesuchend seine Tochter an. »Nafnal?«
Mellorin seufzte, unverkennbar gereizt über die Unfähigkeit der Erwachsenen, die Lilander-Sprache zu verstehen. »Er meint ›Nathaniel‹, Vater. Meister Ostwyr hat uns heute von der Schlacht um Denathere erzählt.«
»Ach, hat er das?« Corvis hoffte, dass die Kälte in seiner Brust sich nicht im Klang seiner Stimme oder in seinen Augen widerspiegelte, die er plötzlich zusammengekniffen hatte.
»Ja, und seitdem ist Lilander Nathaniel Espa und will einfach mit diesem albernen Schwertspiel nicht aufhören!«
Als wollte er die Worte seiner Schwester bestätigen, versuchte der Junge erneut, die böse Bestie zu erledigen, welche die Gestalt eines väterlichen Knies angenommen hatte.
»Und wo ist dein Schwert?«, fragte Corvis Mellorin. Er musste sich immer noch bemühen, gelassen zu klingen.
»Ich«, informierte seine Tochter ihn hochmütig, »brauche kein Schwert. Ich bin Rheah Vhoune. Jeder weiß, dass Magie weit mehr vermag als jedes Schwert … Was ist?«
Mellorin wehrte sich, peinlich berührt von der unverhofften Zurschaustellung väterlicher Zuneigung, aber Flucht war unmöglich. Corvis hätte seine Tochter fast an seiner Brust zerquetscht, wo er sie festhielt, damit sie nicht sah, wie er weinte.
Wie jedes Jahr im Herbst hatten in fast ganz Imphallion die Blätter begonnen sich zu verfärben; Grün wurde zu dunklem Rot und warmem Gelb. Die Tiere witterten die aufkommenden Winde und begannen Vorräte anzulegen, um sich auf den ersten Schnee vorzubereiten, der in wenigen Monaten kommen würde. Einige der nördlichen Länder, die am weitesten von den Gebieten entfernt waren, wo der Winter das ganze Jahr über schlummerte, litten immer noch unter den glühenden Liebkosungen des Sommers. Dort wischten sich die Leute mit verschwitzten Händen über die schweißnasse Stirn und erwarteten ungeduldig die Linderung, die der Herbst ihren südlichen Nachbarn bereits gebracht hatte.
Aber hier, im Süden, an Imphallions untersten Grenzen, viele Werst vom Zugriff des Regenten und der Gilden entfernt, erstreckten sich jene Länder, in denen der Winter seinen eisigen Griff niemals lockerte, in denen ein Sommer ohne Schnee nur ein Mythos aus fremden Gegenden war. Die Schneewehen waren bereits kniehoch, und der Sturm wehte so stark, dass er einen leichtsinnigen Reisenden hätte umwerfen können, außerdem war er so eisig, dass er sich durch die dicksten Pelze und Mäntel beißen konnte. Hier, am Fuß der mächtigen Terrakas-Berge, wo selbst die Täler weit über dem Spiegel der fernen Meere lagen, herrschte nichts als tödliche Kälte.
Eine wenig benutzte Handelsroute, die jedoch für einige Auserwählte überlebenswichtig war, fraß sich durch das Gebirge. Obwohl der Pfad nur selten das Vorgebirge verließ, um sich hoch bis in die Gipfel zu winden, war es ein mühsamer, gefährlicher Weg. Dennoch herrschte hier ein steter, wenn auch geringer Verkehr. Für die erschöpften, frierenden Reisenden gab es sogar einen Ort für die Rast.
Das Dorf, kaum mehr als eine ärmliche Ansammlung von Hütten, die im Tal eines der höchsten Vorgebirge verstreut lagen, nannte sich Ephrel. Hier hatten sich zumeist Fallensteller und Jäger niedergelassen, und die Bevölkerung zählte kaum dreißig Seelen. Zudem wies das Dorf nur zwei Besonderheiten auf. Erstens war es die höchstgelegene feste
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