Die Horde - Die Schlacht von Morthûl
für …« Er sprach nicht weiter, denn sie wussten beide genau, wofür Morthûl das Dämonen-Korps brauchte.
Der Leichenkönig wandte sich vom Tisch ab, ohne Antwort zu geben. Er legte die Hände auf den Rücken und wirkte wie in Gedanken versunken. Zum ersten Mal konnte Havarren sehen, woran der Herr der Eisernen Burg gearbeitet hatte: Morthûls angelaufene Silberkrone lag auf dem Tisch, inmitten von wie wahllos verstreut liegenden Gegenständen.
Havarren runzelte die Stirn, als er sie betrachtete. Unter den mehreren Dutzend Objekten geringerer Macht bemerkte er das Herz einer ungeborenen Fee und ein Glas mit etwas, das die Tränen eines Geistes sein mussten. Außerdem nahm er trotz des vom Leichenkönig ausgehenden scharfen Geruchs das bittere Aroma eine Pagaera-Blüte wahr. Die Pagaera war eine Blume, die sogar in Königin Annes zerstörtem Garten gefehlt hatte: Sie wuchs nur in einem Boden, der als Dünger Urin von einem Höllenprinzen empfing. Der Zauberer fragte sich kurz, wo Morthûl eine solche Blumen gefunden haben konnte, und dann dachte er, dass er es vielleicht gar nicht wissen wollte.
Kein Zauber, den Havarren kannte oder von dem er bislang gehört hatte, erforderte genau die Kombination von Zutaten, die er auf dem Tisch sah. Es blieb ihm völlig rätselhaft, was Morthûl damit bezweckte, doch von der silbernen Krone ging genug Kraft aus, um Havarren zwei Dinge mitzuteilen:
Erstens: Dies war der Zauber, für den der Leichenkönig in den vergangenen Monaten seine Kraft reserviert hatte.
Und zweitens: Die Sache jagte ihm einen gehörigen Schrecken ein.
»Es wird noch einige Wochen dauern, bis alles so weit ist, Havarren.«
Der Zauberer drehte sich zu seinem Herrn um. Er hatte nicht gewusst, dass aus ihm, dem Beobachter, ein Beobachteter geworden war.
»Alles deutet auf ein interessantes Ritual hin, Euer Majestät.«
»Eine durchaus zutreffende Beschreibung. Möchtet Ihr wissen, was der Zweck des Rituals ist?«
Havarren ärgerte sich darüber, dass er zögerte, bevor er antwortete: »Ja, das möchte ich.«
Morthûl lächelte. »Vielleicht verrate ich es Euch eines Tages.«
Havarren bemühte sich, keine finstere Miene zu schneiden – und sich auch seine Erleichterung nicht anmerken zu lassen.
Das Lächeln des Leichenkönigs verblasste, als er langsam zur nächsten Wand schritt oder schwebte . Sie bestand aus massivem Stein, trug eine Schicht aus Eisen und befand sich in der Mitte des obersten Stocks der Eisernen Burg. Doch als Morthûl die Hand ausstreckte, gab es in dieser Wand plötzlich ein Fenster, und dahinter erstreckten sich viele Meilen der Insel Dendrakis.
»Was seht Ihr, Havarren?«
Der Zauberer warf einen verächtlichen Blick durchs Fenster. »Ich sehe einige von Schnee und Eis bedeckte Berggipfel. Ich sehe die Straße. Ich sehe leeres Land. Ich sehe genau das, was ich immer sehe, wenn ich durch eins der traditionellen Fenster der Burg schaue.«
»So ungern wir es auch zugeben: Es gibt Kräfte, die niemand von uns kontrollieren kann, so mächtig wir auch werden.«
»Wie Ihr meint«, erwiderte Havarren in einem neutralen Tonfall.
»Spart Euch diese herablassende Art. Es ist wahr. Es gibt solche Kräfte, und die ärgerlichste von ihnen ist die Zeit.
Wir können die Unsterblichkeit erringen. Wir können in die Vergangenheit greifen, um zu verändern, was ist. Aber kein Mensch, kein Zauberer und kein Gott kontrolliert die Zeit, Havarren. Und unsere Zeit ist abgelaufen.«
Eine knochige Hand deutete aus dem Fenster. »Hier sieht man es nicht. Dendrakis befindet sich zu weit im Norden. Aber wenn Ihr den Blick nach Süden richten könntet, würdet Ihr etwas anderes sehen. Ihr würdet sehen, wie der Schnee auf den niedrigeren Gipfeln der Schwefelberge zu schmelzen beginnt. Bald blühen wieder Blumen; bald wächst wieder Getreide auf den Feldern. Die Vögel bereiten sich auf den langen Flug nach Hause vor, und die Bären regen sich in ihren Höhlen.«
Dies gefällt mir nicht, dachte Havarren. Das Gesicht des Zauberers zeigte auch weiterhin die Maske des Gelangweilten, doch in seinem Innern wuchs die Anspannung. Dies sah Morthûl ganz und gar nicht ähnlich. Es war zu poetisch, zu schwülstig.
»Der Frühling kommt, Havarren. Und mit ihm Dororams Heer.«
»Das ist wahr, Herr. Aber es dürfte kaum eine Rolle spielen. Wir …«
»Wir sind nicht bereit.«
Havarren blinzelte. »Wie bitte?«
»Wir sind nicht bereit. Und wir wären auch dann nicht bereit, wenn wir ein weiteres Jahr
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