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Die Hornisse

Die Hornisse

Titel: Die Hornisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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könnte er am Ende glauben, Brazil sei hinter ihm her.
    »Andy, lassen Sie uns die Dinge klarstellen«, sagte Hammer beim Betreten der Küche. »Für die morgige Ausgabe ist es wohl ohnehin zu spät.«
    »So ist es. Für die Stadtausgabe war schon vor Stunden Redaktionsschluß«, antwortete Brazil und sah auf seine Uhr. Wollte sie denn etwas über die Dinge hier in der Zeitung haben?
    »Ich werde Ihre Hilfe brauchen, und ich muß wissen, daß ich mich wirklich auf Sie verlassen kann. Auch wenn das mit dem Kanal 3 passiert ist«, sagte sie. Niemandem hätte Brazil lieber geholfen.
    Hammer sah verzweifelt auf die Wanduhr. Es war fast drei Uhr morgens. Sie mußte ins Krankenhaus, ob das Seth nun gefiel oder nicht. Außerdem wäre in drei Stunden ohnehin wieder Zeit aufzustehen. Hammers Körper steckte durchwachte Nächte nicht mehr so gut weg, aber sie würde es schon schaffen. Sie hatte es immer geschafft. Sie hatte vor, aus diesen wirklich extrem verworrenen Umständen das Beste zu machen. Sie wußte, morgen würden die Nachrichten voll sein von Seths bizarrer Schußverletzung und deren vermutlichen Hintergründen. Auf Fernseh- und Radiosender konnte sie keinen Einfluß nehmen. Doch zumindest am Tag darauf konnte ein ehrlicher und detaillierter Bericht von Brazil die Fakten ins richtige Licht rücken.
    Als sie dann in Hammers makellos gepflegtem Crown Victoria saßen, schwieg er und saß wie betäubt auf dem Beifahrersitz vorn. Dann griff er zum Stift und machte sich Notizen, während Hammer redete. Sie erzählte von ihren jungen Jahren und von den Gründen, warum sie zur Polizei gegangen war. Sie sprach über Seth und über die Unterstützung, die sie von ihm erhalten hatte, als sie sich durch die Rangordnung dieser Männerdomäne nach oben kämpfen mußte. Heute war sie ausgelaugt und verletzbar. Ihr Privatleben lag schließlich in Scherben. Bei ihrem Therapeuten war sie zum letztenmal vor zwei Jahren gewesen. Brazil war zu einem einschneidenden Zeitpunkt bei ihr aufgetaucht. Er war gerührt und fühlte sich geehrt von ihrem Vertrauen. Er würde sie nicht im Stich lassen.
    »Was wir hier erleben, ist ein bezeichnendes Beispiel dafür, daß Menschen in einer gewissen Machtposition keine Probleme haben dürfen«, erklärte Hammer. Sie waren gerade auf der Queens Road West und fuhren unter dem Blätterdach einer Gruppe hoher Eichen hindurch. »Aber in Wirklichkeit hat jeder Mensch seine Probleme. In jeder Beziehung gibt es turbulente und tragische Phasen, und aus Zeitmangel gehen wir ihren Ursachen nicht ausreichend nach. Da fehlt uns der Mut, und wir glauben, versagt zu haben.« Für Brazil war sie der wunderbarste Mensch, dem er je begegnet war.
    »Wie lange sind Sie schon verheiratet?« fragte er.
    »Sechsundzwanzig Jahre.«
    Schon am Abend vor ihrer Hochzeit hatte sie gewußt, daß sie einen Fehler beging. Sie und Seth hatten sich aus einer Notwendigkeit heraus zusammengetan, nicht weil sie es wirklich wollten. Sie hatte Angst gehabt, ihren Weg allein zu gehen, und Seth schien ihr damals so stark und tüchtig.
    Als er so in der Notaufnahme auf dem Bauch lag, das Röntgen und Reinigen der Wunden nach einer Odyssee durch die ganze Abteilung hinter ihm lag, fragte sich Seth, wie es überhaupt zu dieser Situation hatte kommen können. Es gab Zeiten, da hatte seine Frau ihn bewundert. Sie hatte seine Meinung geschätzt und über seine witzigen Geschichten gelacht. Im Bett hatte sich nie besonders viel abgespielt. Sie besaß entschieden mehr Power und Durchhaltevermögen, und so sehr er sich auch bemühte, es ihr recht zu machen, er konnte nie mit ihr mithalten. Er war weniger phantasievoll, und meistens schnarchte er schon, wenn sie aus dem Bad kam, bereit für die nächste Runde. »Aua!« schrie er auf.
    »Sir, Sie müssen schon stillhalten«, sagte die strenge Krankenschwester wohl zum hundertsten Mal.
    »Warum geben Sie mir nicht etwas, das mich erst mal ein bißchen ins Jenseits befördert?« Er ballte die Fäuste, und Tränen stiegen ihm in die Augen.
    »Mr. Hammer, Sie haben großes Glück gehabt.« Das war die Stimme der chirurgischen Assistenzärztin, die mit den Röntgenaufnahmen hereingekommen war. Wenn sie die Aufnahmen in der Hand bewegte, klang das genauso, wie wenn man ein Sägeblatt bog. Sie war ein hübsches kleines Ding mit langem roten Haar. Er fühlte sich gedemütigt, daß das einzige, was sie von ihm zu Gesicht bekam, sein fetter Hintern war, der noch nie einen Sonnenstrahl gesehen hatte.

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