Die Hornisse
Kinnhaken ins Land der Träume schicken, ihn fertigmachen. Er versuchte, dabei lieber nicht an Raines' Körperumfang zu denken und daran, daß er sich nur vor wenigen Dingen zu fürchten schien. Diesen und ähnlichen Gedanken hing Brazil nach, als sich Hammers Haustür öffnete.
Zusammen mit einem anderen Sanitäter rollte Raines eine Bahre heraus, auf der ein älterer dicker Mann lag. Hinter ihnen erschien Chief Hammer im Türrahmen. Sie wirkte wie unter Schock. Betäubt blieb Brazil mitten auf der Pine Street stehen. Abwesend sah Hammer zu, wie geübte Hände ihren Mann in die Ambulanz schoben. »Bist du sicher, daß ich nicht mitkommen soll?« fragte Hammer den fetten Mann.
»Ganz sicher.« Der fette Mann war benommen und verzog vor Schmerz das Gesicht. Die Benommenheit rührte möglicherweise von der Infusion her, die man ihm gelegt hatte. »Wie du willst«, sagte Hammer.
»Ich will nicht, daß sie mitkommt«, sagte der fette Mann zu Raines. »Keine Sorge.« Hammer klang verletzt. Sie ging ins Haus zurück. Von der Tür aus sah sie dem Krankenwagen nach. Im Augenwinkel entdeckte sie Brazil. Er sah aus der dunklen Straße zu ihr herüber. Da fiel es ihr ein. Großer Gott. Als ob sie nicht schon genügend Probleme hatte.
»Ich hab vorhin schon versucht, Sie zu erreichen. Lassen Sie mich Ihnen alles erklären«, rief sie ihm zu.
Jetzt begriff er überhaupt nichts mehr. »Wie bitte?« Er ging ein paar Schritte auf sie zu.
»Kommen Sie her«, sagte Hammer mit einer müden Geste. Er setzte sich in die Hollywoodschaukel auf der Veranda. Sie löschte das Licht und ließ sich auf den Stufen nieder. Dieser junge Mann mußte sie für das Hinterhältigste halten, was die Bürokratie hervorgebracht hatte. Hammer wußte, daß in dieser Nacht ihr umstrittenes Projekt für eine bessere Zusammenarbeit von Polizei und Bürgerschaft in sich zusammenfallen konnte -zusammen mit allem anderen in ihrem Leben.
»Andy«, begann sie, »Sie müssen mir glauben, daß ich zu niemandem ein Wort gesagt habe. Ich schwöre, ich habe meine Zusage eingehalten.«
»Wie?« Ihn beschlich ein ungutes Gefühl. »Was für eine Zusage?« Ihr wurde klar, daß er noch gar nichts wußte. »Oh, Gott«, murmelte sie. »Sie haben die Spätnachrichten nicht gehört?«
»Nein, Ma'am. Welche Nachrichten?« Er fuhr hoch. Seine Stimme war lauter geworden.
Hammer berichtete ihm von der Enthüllung, mit der Webb auf Kanal 3 herausgekommen war.
»Das ist doch unmöglich!« rief Brazil aus. »Das sind genau meine Details! Woher weiß er von dem blutverschmierten Geld, dem Waschlappen und den anderen Dingen? Er war doch gar nicht da!«
»Andy, bitte sprechen Sie leiser.«
In der Nachbarschaft gingen Lichter an. Hunde bellten. Hammer war aufgestanden.
»Das ist nicht fair. Ich habe mich an die Spielregeln gehalten.« Brazil war, als breche eine Welt zusammen. »Ich war kooperativ, habe geholfen, wo immer ich konnte. Und jetzt kreuzigt man mich dafür.« Auch er war aufgestanden, und die leere Schaukel schwang langsam aus.
»Sie dürfen nicht aufhören, das Richtige zu tun, nur weil andere Falsches tun.« Sie sagte es ruhig, denn es entsprang ihrer Erfahrung. Sie öffnete die Tür, die ins Innere ihres schönen Hauses führte. »Wir haben gut zusammengearbeitet, Andy. Ich hoffe, daß Sie jetzt nicht alles zunichte machen.«
Sie sah ihn freundlich und zugleich traurig an. Es stach ihm ins Herz. In seinem Magen machte sich ein ungewohntes Gefühl breit. Er fror und schwitzte zugleich. Er sah sie an und versuchte, sich vorzustellen, wie es wohl für ihre Kinder gewesen war, von so einem Menschen aufgezogen zu werden.
»Ist Ihnen nicht gut?« Hammer konnte sich seine Reaktion nicht erklären.
»Ich weiß nicht, was mit mir los ist.« Er wischte sich mit der Hand über das Gesicht. »Ich glaube, mir war ein bißchen übel. Unwichtig. Wie geht es Ihrem Mann?«
»Eine Fleischwunde«, antwortete sie niedergeschlagen. Nachtfalter flatterten ins Haus. Ein langes Leben würde ihnen dort nicht beschieden sein, dafür würden Insektensprays sorgen. Bei einem Double-Action-Revolver passierte es selten, daß sich ein Schuß unbeabsichtigt löste. Aber als Hammer von Seth gefordert hatte, den .38er herauszurücken, war er wütend geworden. Er hatte genug davon, sich von seiner Frau herumkommandieren zu lassen. Gleich würde sie noch anfangen, ihn und sein Zimmer zu durchsuchen. Es gab keinen Ausweg. Unglücklicherweise war sie hereingekommen, bevor er die Waffe an
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