Die Hornisse
zurückhaltende Präsenz war Hammer eine Hilfe, und er hätte ihr noch jahrelang so folgen können, ohne daß es sie gestört hätte. Vielleicht war sie sich seiner Gegenwart nicht einmal voll bewußt. Stünde das Ende ihrer Karriere nicht unausweichlich bevor, hätte sie ihn vielleicht sogar zu ihrem persönlichen Assistenten gemacht.
Hammer blieb nur kurze Zeit bei ihrem Mann. Man hatte ihm ein Morphin verabreicht, aber auch ohne das hätte er ihr nichts zu sagen gehabt. Einen Moment lang hielt sie seine Hand und machte ihm leise Mut. Dennoch war es für sie eine entsetzliche Situation. Im Grunde war sie so wütend, daß sie ihn eigenhändig hätte erschießen können. Als sie mit Brazil das Krankenhaus verließ, eilten die Menschen schon überall zur Arbeit. Er trat einen Schritt zurück, um dem Fotografen die Möglichkeit zu geben, ein paar wirkungsvolle Aufnahmen von Hammer beim Verlassen der Notaufnahme zu machen. Mit finsterem Gesicht ging sie den Bürgersteig hinunter, während auf dem Dach eines Gebäudes in der Nachbarschaft ein Medvac-Hubschrauber landete. Ein Krankenwagen brauste an Hammer vorüber. Eilig wurde ein Patient in die Notaufnahme eingeliefert.
Das Foto, die Ambulanz im Hintergrund, der landende Helikopter ein Stück entfernt, und Hammer, den Blick traurig und tapfer zugleich zu Boden gerichtet, war sensationell. Am nächsten Morgen sah es einen von jedem Kiosk und aus den stummen Verkäufern überall in Charlotte-Mecklenburg an. Packer hatte noch nie eine so mitreißende Darstellung über mutiges Handeln gelesen. Die komplette Redaktion erstarrte in Ehrfurcht. Wie, zum Teufel, war dieser Brazil an all die Informationen gekommen? Hammer war nicht gerade dafür bekannt, daß sie Privates von sich oder ihrer Familie an die Öffentlichkeit dringen ließ. Und nun, in einer Situation, in der Diskretion doch alles gewesen wäre, offenbarte sie sich plötzlich in allen Einzelheiten diesem Greenhorn von einem Reporter... Der Bürgermeister, der Stadtdirektor, der Stadtrat und Cahoon selbst waren nicht annähernd so beeindruckt. Sie äußerten im Fernsehen und im Rundfunk offene Kritik an Hammer. Ihrer Meinung nach lenkte sie die Aufmerksamkeit noch immer viel zu sehr auf die Serienmorde und auf andere soziale Probleme in der Queen City. Die Folge sei, daß schon diverse Firmen und auch eine Restaurantkette ihren Entschluß überdächten, sich in Charlotte als neuem Standort niederzulassen. Entsprechende Gespräche würden schon annulliert. Auf dem Spiel stünden angeblich die Ansiedlung eines Werks für die Herstellung von Computerchips sowie ein Disney-Themenpark.
Bürgermeister, Stadtdirektor und einige Stadträte betonten zusätzlich, in dem Unfall mit der Schußwaffe werde streng ermittelt. Auch Cahoon nannte das eine nur faire Vorgehensweise. Die Männer rochen Blut und spielten verrückt.
Panesa sah sich eher selten gezwungen, sich auf eine bestimmte Seite zu schlagen, doch nun krempelte er die Ärmel hoch und schrieb einen leidenschaftlichen Leitartikel für die Sonntagsausgabe.
HORNISSENNEST nannte er seine Abrechnung mit den Mißständen in der Stadt und wie sie sich einer unabhängigen, menschlich denkenden Frau darstellen mußten. Hammer, Charlottes allseits geliebter Police Chief, habe durchaus mit ihren eigenen Dämonen zu kämpfen. »Dennoch hat sie uns nie im Stich gelassen oder uns ihre Probleme aufgebürdet«, schrieb Panesa. »Es ist an der Zeit, Chief Hammer unsere ganze Unterstützung zukommen zu lassen, ihr Respekt und Mitgefühl zu erweisen und ihr zu zeigen, daß auch wir uns erheben und die richtigen Entscheidungen treffen können.« Dann kam er auf Hammers Hilfeleistung für den AIDSkranken jungen Mann, den sie mit Wasser und einer Decke versorgt hatte. »Das, Ihr Bürger von Charlotte, ist nicht nur Polizeiarbeit vor Ort, es ist gelebtes Christentum«, schrieb er. »Mögen Bürgermeister Search, der Stadtrat oder Solomon Cahoon den ersten Stein werfen.«
Dies alles erregte tagelang die Gemüter und wirbelte Staub auf. Von Cahoons Krone und den Räumen des Bürgermeisters herab verbreitete sich Feindseligkeit wie ein bösartiger Insektenschwarm. Telefondrähte glühten. Die Stadtväter schmiedeten geheime Pläne, wie sie Hammer aus der Stadt jagen könnten.
»Das hat die Öffentlichkeit zu entscheiden«, ließ der Bürgermeister den Stadtdirektor wissen. »Die Bürger müssen es selber wollen.«
»Daran führt kein Weg vorbei«, ließ Cahoon die anderen per
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