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Die Hornisse

Die Hornisse

Titel: Die Hornisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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ihm noch einmal auf die Schulter. »Im Moment ist nur eines wichtig, nämlich daß du wieder auf die Beine kommst. Denk positiv, Liebling. Die innere Einstellung beeinflußt alles. Also, keine negativen Gedanken.«
    Ebensogut hätte sie die Quadratur des Kreises von ihm fordern können. Seth sah sie an. Wann hatte sie ihn das letztemal Liebling genannt? Er konnte sich nicht daran erinnern. Vielleicht noch nie? »Ich weiß nicht, was ich sagen soll«, sagte er.
    Sie wußte genau, was er meinte. Er war nur noch schlechtes Gewissen, Schuldgefühl und Scham. Er hatte angefangen, ihr Leben und das seiner Kinder zu zerstören, und darin wurde er immer besser.
    Um die Wahrheit zu sagen, es geschah ihm nur recht, daß er sich so beschissen fühlte.
    »Du mußt nichts sagen«, beruhigte Hammer ihn sanft. »Was geschehen ist, ist geschehen. Wenn du entlassen wirst, besorgen wir dir Hilfe. Das ist alles, was jetzt zählt.«
    Hinter seinen geschlossenen Lidern stiegen Tränen auf. Er sah einen jungen Mann an einem sonnigen Morgen in weiter weißer Hose die Granitstufen des Capitols von Arkansas hinunterspringen. Seth war ein charmanter und Selbstbewußter junger Mann gewesen. Er hatte gewußt, wie man das Leben genoß, sich mit Freunden auf Parties herumtrieb und lustige Geschichten erzählte. Psychiater hatten es mit Prozac, Zoloft, Notripylen und Lithium versucht, Seth verschiedene Diäten probiert. Er hatte einmal mit dem Trinken aufgehört. Er hatte sich hypnotisieren lassen und drei Treffen der Anonymen Zuvielesser besucht. Dann hatte er sämtliche Bemühungen aufgegeben.
    »Es gibt keine Hoffnung mehr«, schluchzte er. »Ich kann nur noch sterben.«
    »Sag so was nie wieder«, sagte sie mit zitternder Stimme. »Hörst du, Seth? Nie wieder!«
    »Warum ist meine Liebe dir nicht genug?« weinte er.
    »Welche Liebe?« Hinter ihrer Beherrschtheit kroch blanke Wut hoch. »Deine Vorstellung von Liebe besteht in der Erwartung, daß ich dich glücklich mache, während du selbst nicht das geringste für dich tust. Ich bin nicht dazu da, auf dich aufzupassen. Ich bin nicht dein Tierpfleger. Ich bin nicht dein Barkeeper. Ich bin nicht dein Wärter, Punkt.« Zornig wanderte sie in seinem kleinen Privatkrankenzimmer auf und ab. »Ich sollte deine Partnerin sein, Seth, deine Freundin, deine Geliebte. Aber weißt du was? Wäre das hier ein Tennismatch, dann wäre ich so etwas wie eine Einzelspielerin in einem Doppel, und das auf beiden Seiten des Netzes zugleich, während du im Schatten säßest und sämtliche Bälle bunkertest, um auf deine eigene Art Punkte zu sammeln.«
    Einen Großteil des Vormittags hatte Brazil damit verbracht zu entscheiden, ob er West anrufen und sich mit ihr zu einem Tennismatch verabreden sollte. Wäre das nicht ganz unverbindlich? Auf keinen Fall wollte er ihr die Genugtuung verschaffen, zu glauben, es mache ihm etwas aus, daß er seit dreieinhalb Tagen nichts mehr von ihr gehört hatte. Er parkte an der West Trade Street vor dem Presto Grill, ging hinein und bestellte sich einen Kaffee. Zwar hatte er auch Hunger, doch seinen Appetit wollte er sich für etwas Gesünderes aufbewahren. Er wollte später noch im »Just Fresh« vorbeischauen, dem Iß-gut-fühl-dich-gut-Fast-Food-Restaurant. Es lag im Innenhof der First Union Bank. In den letzten Tagen hatten seine Mahlzeiten fast ausschließlich aus dem bestanden, was das »Just Fresh« zu bieten hatte, sowie aus Wendys Sandwiches mit gegrilltem Hähnchenbrustfilet, ohne Käse und Mayonnaise. Er hatte abgenommen und fragte sich, ob das vielleicht der Beginn einer Magersucht war.
    Er saß an der Theke und rührte Süßstoff in seinen schwarzen koffeinfreien Kaffee. Spike war gerade dabei, einhändig Eier in eine Schüssel zu schlagen. Brazil wollte sich ein bißchen mit ihm unterhalten. Die Wanduhr mit der Michelob Dry-Reklame über Spikes Kopf zeigte Viertel vor elf. Brazil hatte noch viel vor, bis um vier Uhr seine offizielle Arbeitszeit begann. So angetan Packer von Brazils Exklusivbeiträgen auch war, die ganz normalen Nachrichten durften nicht vernachlässigt werden. Die Zeitung mußte über alles berichten, was in der Stadt passierte: Einbrüche, Raubüberfälle, Vergewaltigungen, Selbstmorde, Schlägereien in Bars, hinzu kam noch Wirtschaftskriminalität von Banken, Drogenrazzien, häusliche Gewalt, Hundebisse und all die anderen Dinge, für die sich Menschen eben interessierten. Die meisten Meldungen dieser Art hatte sich indessen Webb schon unter den Nagel

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