Die Hudson Saga 01 - Haus der Schatten
mit mir sprach, immer voller Hoffnung, meine Träume träumte, mich drängte, mehr Vertrauen in mich zu haben, mir sagte, dass ich schön sei und etwas Besonderes.
»Hat sie Schmerzen, Roy?«
»Sie sagen nein«, erwiderte er. Er starrte sie an. »Sie sieht nicht so aus.«
Ich setzte mich wieder und vergrub mein Gesicht an ihrer Schulter. Roy stand geduldig neben mir. Nach einer Weile berührte er mein Haar.
»Vielleicht sollten wir in die Cafeteria hinuntergehen und uns etwas zu essen holen, Rain.Was meinst du?«
»Ich habe keinen Hunger, aber ich komme mit dir«, sagte ich. Ich küsste Mama auf die Wange, und wir verließen die Intensivstation.
Er kaufte mir einen Kaffee und sich selbst ein Sandwich mit Käse und Schinken. Wir setzten uns alleine an einen Tisch neben dem Fenster. In der Cafeteria war viel Krankenhauspersonal, alle plauderten, schauten an uns vorbei oder durch uns hindurch, als wären wir unsichtbar. Ich vermutete, der Anblick besorgter Angehöriger war für sie alltäglich.
»Erzähl mir, was du so gemacht hast«, drängte Roy. Ich wusste, dass er mich am Reden halten wollte, weil ich nicht weinen konnte, solange ich sprach.
Ich beschrieb alles und was ich in der Schule getan hatte.
»Pferde?«, sagte er lächelnd. »Du reitest?«
»Mein Lehrer sagt, ich sei gut.«
Er lachte.
»Warum hast du mich nicht öfter angerufen, Roy?«, fragte ich. »Hast du meinen Brief nicht bekommen?«
»Doch, aber eine Weile war es nicht leicht zu telefonieren, und dann, als ich anrief und hörte, dass du so beschäftigt bist, dachte ich, du wolltest nichts von mir hören.«
»Das war dumm, Roy«, fauchte ich.
Er sah so bekümmert aus, dass ich mich ganz schlecht fühlte, weil ich wütend geworden war.
»Ich habe darauf gewartet, dass du wieder anrufst. Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht.«
»Ich habe mir gedacht, dass ich dich schon bald wiedersehen würde«, sagte er mit einem tiefen Seufzer.
»Also wusstest du davon? Du wusstest es von Anfang an?«
»Nein, Rain. Sie erzählte es mir erst, als du aus Washington abgereist warst«, sagte er, »und ich musste ihr bei ihrem Leben versprechen, dass ich es dir nicht erzähle. Das ist die Wahrheit, Rain. Ich schwöre es.«
»Als ich abreiste, war ich so verzweifelt, dass ich glaubte, Mama könnte mich nicht so sehr geliebt haben, wie ich dachte, weil sie mich einfach so gehen lassen konnte. Ich war sogar wütend und dachte, ich würde sie nicht anrufen, aber als ich ihre Stimme hörte, wusste ich, dass sie mich doch liebte und dass sie für mich tat, was sie tat, dass sie mich an die erste Stelle setzte. Niemand wird je wieder so etwas für mich tun, Roy. Diese Leute nicht, niemand.«
»Ich werde es«, versprach er und kniff die Augen entschlossen zusammen. »Ich werde es immer.«
»Ich weiß, aber du musst dein eigenes Leben leben.«
»Ich möchte, dass du ein Teil dieses Lebens bist, Rain. Du weißt das«, sagte er.
Ich senkte den Blick, trank einen Schluck Kaffee, schloss die Augen und lehnte mich zurück.
»Es ist alles so schnell gegangen, Roy«, sagte ich, immer noch mit geschlossenen Augen. Ich sah Beni lachen und Mama in der Küche singen.
»Ja, sieht ganz so aus«, sagte er.
»Lass uns wieder nach oben gehen, Roy«, bat ich ihn.
»Möchtest du bestimmt nichts essen?«
»Ich könnte nichts bei mir behalten«, sagte ich und er nickte.
Er stürzte seinen Kaffee hinunter, räumte den Tisch ab, und dann gingen wir zum Aufzug.
»Wo übernachtest du? Bei Tante Sylvia?«
»Ja, und bestimmt bist du auch dort willkommen.«
»Ich habe doch das Hotelzimmer, das bereits gebucht ist«, erklärte ich.
»Ach ja«, sagte er.
Als sich die Aufzugtür öffnete, sahen wir Tante Sylvia im Flur. Ihre Freundin umarmte sie.
Mein Herz blieb stehen und setzte wieder ein. Roy schaute mich ängstlich an.
»Oh, Kinder«, rief Tante Sylvia, als wir näher kamen. »Es tut mir so Leid. Sie ist von uns gegangen.«
»Mama!«, schrie ich. »Nein.Wir waren doch gerade noch bei ihr. Nein!«
Ich riss mich los und stürzte durch die Tür. Sie zogen gerade das Laken über sie. Ich rannte zum Bett und zog es herunter.
»Sie kann nicht tot sein«, schrie ich die Krankenschwester an.
»Es tut mir Leid, Schätzchen«, sagte sie.
Roy nahm meine Hand, dann umarmte er mich, während wir beide Mama anschauten. Sie sah nicht anders aus als zuvor.Vielleicht war sie gar nicht tot.
»Bitte«, rief ich. »Sind Sie sicher?«
»Sie ist verschieden, Schätzchen«,
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