Die Hudson Saga 01 - Haus der Schatten
Furcht, ihr nicht wirklich helfen zu können. Nach der Schule gingen sie und ich ins Pfandhaus.Wir wussten von anderen Kids, die dorthin gegangen waren – viele von ihnen, um gestohlene Sachen zu Geld zu machen. Der kleine käsig aussehende Mann mit dem schütteren Haar hinter der Theke starrte uns misstrauisch an, als ich das Armband hervorholte. Er hatte eine trockene, runzelige Haut und trübe, wässrig graue Augen, die uns mit vagem Ekel anschauten. In dem Laden selbst roch es widerlich, wie in einem Raum, der überflutet worden war. Der Holzboden wirkte feucht, als ob er verrottete, und überall lag genug Staub, um zehn Staubsauger zum Überquellen zu bringen. Die Beleuchtung war schwach, vielleicht mit Absicht, damit alles, was man ihm vorlegte, unscheinbar und wertlos wirkte. Er setzte eine dicke Brille auf und drehte das Armband in seinen kurzen dicken Fingern mit den Nikotinflecken an den Spitzen.
»Es ist echtes Gold«, sagte ich. »Sie können sehen, dass 18 Karat auf das Schloss gestempelt ist.«
Er zog seine hellbraunen buschigen Augenbrauen hoch, schaute auf das Armband und legte es hin.
»Wo hast du das her?«, fragte er und bewegte dabei nur den rechten Mundwinkel seiner dicken Lippen.
»Es war ein Geburtstagsgeschenk. Zu meinem sechzehnten Geburtstag«, fügte ich hinzu, um ihn zu beeindrucken.
»Ich kann dir einhundertfünfundzwanzig geben.«
»Oh, wir brauchen mehr als das!«, rief Beni.
»Für mich ist es nicht mehr wert«, sagte er.
»Ich weiß, dass es fast fünfhundert gekostet hat«, sagte ich, »und das war vor fast einem Jahr.«
Er lachte. Es war mehr ein Grunzen mit der Andeutung eines Lächelns, bei dem er mit den Schultern zuckte.
»Wenn du das bezahlt hast, bist du ausgeraubt worden.«
»Es sind echte Diamantensplitter darauf!«, protestierte Beni. »Sie müssen uns mehr geben!«
Abrupt hörte er auf zu lächeln.
»Ich gehe auf hundertfünfzig«, sagte er, »aber das ist endgültig.«
Beni und ich schauten einander an und addierten im Geiste unsere eigenen Bestände hinzu. Mit den hundertfünfzig hatten wir insgesamt zweihundertzweiundzwanzig Dollar.
Ich überlegte einen Augenblick, griff nach oben und löste den Verschluss an meiner Kette mit dem Kreuzanhänger.
»Kann ich achtundzwanzig Dollar dafür bekommen?«, fragte ich ihn und legte das Kreuz auf seine Handfläche. Er grinste blöd, drehte es aber in seinen Finger umher. »Das ist auch echtes Gold.«
»Gold ist nicht so viel wert, wie du glaubst.« Er seufzte. »In Ordnung. Ich gebe dir achtundzwanzig.«
»Rain!«, rief Beni. »Mama wird merken, dass du es nicht mehr hast.«
»Wir werden es zurückholen. Es ist doch nur verliehen, stimmt’s?«, fragte ich ihn. »Sie verkaufen es doch nicht?«
»Nicht sofort, aber in den meisten Fällen kommen die Leute nicht wieder, und ich bleibe dann auf diesem Zeug sitzen.«
»Wir kommen zurück«, schwor ich. Ich wandte mich an
Beni. »Hinterher leihe ich mir von Roy die achtundzwanzig.«
»Du brauchst noch mehr für die Zinsen«, sagte der Pfandleiher.
»Wie viel mehr?«
»Das hängt davon ab, wie lange es dauert, bis du zurückkommst.«
»Ich werde schnell zurückkommen«, schwor ich.
Er zuckte die Achseln und legte alles in seine Theke. Dann öffnete er die Geldkassette und zählte die Scheine. Ich zählte nach, um sicher zu sein, und wir gingen.
»Ich muss mich übergeben«, erklärte Beni. »Ich habe panische Angst, dass Mama es herausfindet.«
»Denk einfach nicht daran«, riet ich ihr.
»Wie soll ich das anfangen?«
»Tu so, als wäre es nur ein Traum«, sagte ich ihr.
Sie lachte mich aus.
»Wie kommt es, dass du dich so gut auskennst mit dem Belügen von Leuten?«
»Das tue ich doch gar nicht, aber ich kenne mich etwas damit aus, mich selbst zu belügen«, sagte ich.
Die Idee war wie ein kleiner Vogel, zu schnell und zu hoch, um ihn zu greifen. Sie schüttelte nur verwirrt den Kopf und ging weiter. Dabei trat sie auf dem Bürgersteig auf, als ginge sie barfuß über Eis.
Kurz vor dem Abendessen rief Roy an und sagte, er müsse noch weiterarbeiten und einen Auftrag für Slim erledigen. Sie hatten einem Kunden versprochen, er würde sein Auto am Morgen bekommen. Slim hatte ihm in der letzten Zeit so oft einen Gefallen getan, dass Roy sich verpflichtet fühlte, ihm zu helfen. Er sagte, er und Slim würden sich eine Pizza
schicken lassen.Tatsächlich fühlte ich mich ein wenig erleichtert, dass er nicht da war, wenn ich Mama meine Lügen auftischte.
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