Die Hüter der Nacht
dass drei Zeugen ausgesagt hatten, dass sie am Todestag des Jungen ein und denselben Mann hatten herumschleichen sehen. Der Mann hatte sich offenbar nicht bemüht, seine Anwesenheit zu verbergen, denn die Beschreibungen der Zeugen stimmten fast perfekt überein.
Moment mal, ich kenne diesen Mann, durchfuhr es Ben.
Er las noch einmal die Beschreibungen, ließ vor seinem geistigen Auge ein Bild entstehen. Die Beamten hatten allen drei Zeugen genau die richtigen Fragen gestellt. Die Ausbildung der Männer war besser gewesen, als er angenommen hatte – mit dem Ergebnis, dass er die von den Zeugen beschriebene Person deutlich vor Augen sah.
Das kann nicht wahr sein, dachte er. Ausgerechnet …
Er überlegte rasch, wie er weiter vorgehen sollte. Al-Asi – er musste mit Colonel al-Asi sprechen!
»Inspector Kamal«, ertönte eine Stimme von der Türschwelle her.
Ben blickte auf und sah, dass ihn zwei gut gekleidete Männer anstarrten. Er hatte sie schon irgendwo gesehen, konnte sie jedoch nicht einordnen.
»Verzeihen Sie die Störung, Inspector«, fuhr der Sprecher der beiden fort, »Colonel al-Asi wünscht Sie zu sehen.«
Al-Asis Männer … erinnerte er sich deshalb an sie?
»Ich habe versucht, ihn zu erreichen. Niemand hat sich gemeldet. Wo ist er?«
»Das dürfen wir nicht sagen. Es gab heute Abend Probleme.«
»Probleme?«
»Begleiten Sie uns bitte, Inspector. Der Colonel wartet.«
Bens Blick fiel kurz auf sein Telefon. »Warum hat er nicht angerufen?«
»Wie ich schon sagte, es war ein problematischer Abend. Der Colonel wird Ihnen alles erklären, wenn Sie bei ihm sind.«
»Und den Telefonen kann man nicht trauen«, fügte der zweite Mann hinzu.
In diesem Augenblick erinnerte sich Ben, wo er die Männer schon gesehen hatte. Vor fünf Tagen im Fußballstadion.
Die Leibwächter des Terroristen Mahmoud Fasil, die in der allgemeinen Panik entkommen sind!
Ben bezweifelte, dass sie ihn wieder erkannten; er hatte sie nur flüchtig angeschaut, und ihre Blicke waren nie auf ihn gerichtet gewesen.
»Ich kann jetzt nicht weg, tut mir Leid«, sagte Ben.
»Wir haben unsere Befehle, Inspector. Der Colonel hat sich sehr klar ausgedrückt.«
»Es geschieht zu Ihrer eigenen Sicherheit«, fügte der zweite Mann hinzu.
»Warum rufen wir den Colonel nicht an? Dann kann ich ihm alles erklären.«
»Ich fürchte, das ist unmöglich.«
Ben dachte an die Pistole im Holster an seiner Hüfte. Die beiden Männer in der Tür waren nahe daran, zu handeln. Wenn sie sich auf ihn stürzten oder zu ihren Waffen griffen, würde ihm nichts anderes übrig bleiben, als selbst seine Pistole zu ziehen.
»Ah, da sind Sie ja, Inspector«, ertönte plötzlich eine vertraute Stimme auf dem Flur, gleich hinter den beiden Männern, die behaupteten, von Colonel al-Asi geschickt worden zu sein. »Verzeihen Sie bitte.«
Die beiden Männer machten verlegen Platz, damit Fawzi Wallid, amtierender Bürgermeister des Distrikts Jericho, zwischen ihnen hindurch das Büro betreten konnte, gefolgt von vier uniformierten palästinensischen Polizisten.
»Verzeihen Sie meine Verspätung, Inspector«, sagte Bens ehemaliger Captain. »Kommen Sie, wir müssen jetzt aufbrechen, wenn wir es zum Treffen mit dem Präsidenten schaffen wollen.« Wallid wandte sich zu den beiden Männern um, die an der Tür verharrten. »Arafat arbeitet am besten in der Nacht und plant die meisten seiner Termine für Zeiten, da er ungestört ist.«
Die beiden Männer an der Tür nickten bloß.
Ben erhob sich und steckte sich den Saum seines Hemdes in den Hosenbund.
»Sie sehen gut genug aus, Inspector«, sagte Wallid. »Unser Präsident hält nicht viel von Förmlichkeiten.« Er blickte wieder zu den beiden Männern, die sich etwas zurückzogen. »Wenn Sie uns bitte entschuldigen …«
»Der Colonel hat mich gebeten, persönlich auf Sie aufzupassen, Inspector«, erklärte Wallid, als sie draußen waren. Er wartete, bis die beiden Männer, die sich als Beamte al-Asis ausgegeben hatten, mit ihrem Van davonfuhren und Sekunden später zwei Wagen von ihren Parkplätzen rollten und ihnen unauffällig folgten. Dann fügte er hinzu: »Er hat sich Sorgen um Sie gemacht.«
»Ich kann mich nicht erinnern, dass Sie und al-Asi eine so gute Beziehung hatten, sidi.«
»In meiner Eigenschaft als Polizeichef muss ich ihn fürchten. In meiner Eigenschaft als amtierender Bürgermeister muss ich ihn hofieren.«
»Wo ist der Colonel?«
»Er wartet auf Sie. Meine Männer und ich
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