Die Hüter der Nacht
ich herausfinde, Mr. Hessler.«
Hessler blinzelte, und der Ausdruck seiner Augen verlor an Intensität, als hätten sie sich zu lange auf irgendetwas konzentriert. »Und warum könnte das sein, Pakad?«
»Mir kommt es sonderbar vor, dass ein alter Mann geschickt wurde, um Sie zu töten. Die Feinde, von denen Sie gesprochen haben, hätten einen Profikiller geschickt.«
»Und dieser war keiner?«
»Den Zeugenaussagen zufolge rief er Ihnen etwas zu, bevor er zu feuern begann. Er bezeichnete Sie als Mörder und zog dabei die Aufmerksamkeit auf sich. Eine solche Vorgehensweise würde ich nicht als Markenzeichen eines professionellen Killers bezeichnen.«
»Als was dann?«
»Als ein Verbrechen aus Leidenschaft, begangen von jemandem, der sich von Ihnen ungerecht behandelt fühlte. Vielleicht geschäftlich. Wenn das der Fall ist, würde es die Frage nach dem ›Wer‹ beantworten. Dann brauchten wir keine Schatten zu jagen.«
»Ich habe viele Feinde, Pakad.«
»Wir würden nach einem zornigen Angestellten, einem verbitterten Konkurrenten, nach irgendjemandem suchen, der sich ungerecht behandelt fühlte und Sie deshalb gehasst hat.«
Hessler verzog die Lippen zu einem Lächeln, gerade weit genug, um Danielle die Lücke zwischen seinen Schneidezähnen zu zeigen. »Wenn Sie so lange im Geschäft sind wie ich, trifft das wahrscheinlich auf viele Leute zu.«
»Aber dieser Mann wusste, dass er selbst sterben würde, als er abdrückte. Und er muss einen Grund gehabt haben, Sie als Mörder zu bezeichnen. Oder …«
»Oder was?«
»Haben Sie die Möglichkeit in Erwägung gezogen, dass vielleicht Ihr Sohn das Ziel gewesen sein kann?«
»Sie sagten …«
»Ich sagte, der Schütze rief ›Mörder!‹ und begann zu feuern. Ich habe nie behauptet, dass er zweifelsfrei auf Sie gezielt hat.«
Hessler stemmte sich aus seinem Sessel hoch und schlurfte zur Bar. Er umfasste die Kanten so fest, dass das Blut aus seinen Knöcheln wich, sodass sie weiß wurden.
»Wir hätten heute Abend die Rückkehr nach New York gefeiert, mein Sohn und ich«, sagte er tonlos mit dem Rücken zu Danielle. »Das Raketen-Verteidigungssystem, das wir für Israel gebaut haben, ist fertig entwickelt. Heute Morgen waren wir Zeugen des zweiten erfolgreichen Tests.« Hessler räusperte sich und sammelte seine Gedanken. »Auf jeden Fall war mein Sohn neu für die Firma. Verschwenden Sie nicht Ihre Zeit, Pakad. Ari war nicht das Ziel.«
»Aber Sie sagten selbst, dass er eines Tages die Hessler Industries übernommen hätte.« Danielle durchquerte das Wohnzimmer und trat Hessler auf der anderen Seite der Bar gegenüber. »Das ist Grund genug, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass Ihr Sohn das wahre Ziel des Anschlags gewesen ist.«
Hessler löste seine Hände vom glänzenden Holz der Bar. »Weil es vielleicht schlimmer war, ihn zu töten als mich.«
»Ja.« Danielle nickte.
Hessler blickte sie nachdenklich an. »Ich habe Sie aus einem anderen Grund ausgewählt, Pakad. Ich wollte jemanden, der weiß, was für ein Gefühl es ist, ein Kind zu verlieren.«
Danielle bemühte sich, nicht zu reagieren. »Das gehört nicht zur Sache.«
»Wirklich nicht? Vielleicht verstehen Sie nicht, was ich damit sagen wollte.«
»Dass Sie so viel über mich wissen wie ich über Sie.«
»Sehr gut.«
»Ich glaube, Sie haben mich aus den falschen Gründen ausgewählt, Mr. Hessler.«
»Das bleibt abzuwarten, Pakad, nicht wahr?« Hessler umklammerte abermals die Kante der Bar, um sich zu stützen, weil er plötzlich unsicher auf den Beinen war. »Wenn Sie herausfinden, wer für den Tod meines Sohnes verantwortlich ist, werden wir wissen, ob ich Recht hatte.«
12.
Ben Kamal ging zwischen den angrenzenden Spielfeldern entlang, die im Schatten des Fußballstadions lagen, in dem er früher an diesem Tag einen Mann erschossen hatte. Zwei Spiele fanden gleichzeitig statt. Schuljungen rannten in der Hitze auf den Spielfeldern auf und ab und kämpften um den Ball. Die Jugend-Fußballliga war neu in der West-Bank und noch schlecht organisiert.
Ben war trotz dieses Nachteils beeindruckt von den Fähigkeiten der neun- und zehnjährigen Jungen, besonders von denen der Mannschaft, die auf dem Feld zu seiner Rechten spielte. Ihr Trainer stand ernst in seinem grünen Nike-Trainingsanzug an der Seitenlinie und brüllte gelegentlich eine Anweisung. Als Ben sich dem Mann näherte, wurde eine perfekte Flanke von einem seiner Spieler volley aus der Luft genommen und ins Tor
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