Die Hüter der Nacht
und ich sage nicht, dass es falsch von Ihnen war, ganz und gar nicht. Aber vor zehn Jahren waren diese genetischen Anzeichen noch nicht identifiziert, und heute bleiben die Resultate der Proben oftmals nicht überzeugend.«
»Worüber sprechen wir hier?«
»Noch über nichts.«
»Was heißt das?«
Die Miene des Arztes blieb ausdruckslos. »Die Untersuchung genetischer Anfälligkeiten und Tendenzen ist eine ungenaue Wissenschaft. Zu diesem Zeitpunkt die Dinge mit Ihnen zu besprechen würde Sie aus Gründen alarmieren, die sich vielleicht als haltlos erweisen. Ich möchte Ihnen heute noch einmal Blut abnehmen, morgen früh können wir über das Ergebnis der Untersuchung sprechen. Bis dahin möchte ich Sie nicht beunruhigen«, endete er in dem Bemühen, tröstend zu klingen.
Wegen der Blutentnahme hatte Danielle sich noch mehr zu ihrem Treffen mit Paul Hessler verspätet, als sie erwartet hatte, doch Hessler wirkte nicht verstimmt. Sein Blick war wie in weite Ferne gerichtet. Die Augen waren gerötet und geschwollen, und sein Haar stand vom Kopf ab, wo es nicht glatt gekämmt war. Hessler saß mit herabgesunkenen Schultern vor ihr, und sein leicht vorstehender Bauch wölbte sich über seinen Hosengürtel.
»Sie sehen wie Ihr Vater aus«, sagte Hessler und riss Danielle aus ihren Gedanken.
»Haben Sie ihn gut gekannt?«
»Wir lernten uns in einem Lager in Griechenland kennen und reisten zusammen hierher.« Hesslers Worte hörten sich an, als wäre die Vergangenheit für ihn ein viel besserer Ort zum Leben als die Gegenwart. »Wir kämpften Seite an Seite mit den anderen Verrückten für die Haganah. Wir trennten uns kurz, als Ihr Vater sich den Irgun anschloss, und dann begegneten wir uns wieder … später. Jedenfalls war er ein großartiger Soldat, aber ein lausiger Politiker.«
Danielle bemühte sich um ein Lächeln, doch es fiel ihr schwer, denn sie glaubte, einen Kloß in der Kehle zu haben.
»Ich war meistens ein mieser Soldat, aber ein guter Geschäftsmann. Ich kaufte Waffen für Männer wie Ihren Vater, die sie brauchen konnten.« Hessler sank tiefer in seinen Sessel. Die schlaffe Haut um sein Kinn und seine Wangen schien an seinem Gesicht hinabzugleiten, als könnte sie nicht mehr von den Knochen gehalten werden. »Ich hatte Ihren Vater zehn Jahre lang nicht mehr gesehen, als ich von seinem Tod erfuhr. Seither habe ich Ihre Kariere stets verfolgt. Er wäre sehr stolz auf Sie.«
Dann musst du meine Karriere sehr genau verfolgt haben …
»Was haben Sie gesagt, Chief Inspector?«
»Nichts.«
»Mein Gehör ist nicht mehr das, was es mal war.«
Danielle neigte sich ein wenig vor. »Ich weiß, wie schlimm das alles für Sie sein muss.«
»Die Kugel war für mich bestimmt, Chief Inspector, nicht für meinen Sohn.« Hessler holte tief Luft, und der Atemzug endete mit einem Seufzen. »Es ist schrecklich, ein Kind zu verlieren. Ich bin überzeugt, Sie als Frau können das verstehen.«
»Ja«, sagte Danielle, »das kann ich.«
10.
»Danke für Ihr Kommen, Inspector«, sagte John Najarian, nachdem Ben ihn durch den Lautsprecher im Bereich des Swimmingpools im Resort Village in Jericho hatte ausrufen lassen. Die Sonne brannte heiß vom Himmel und erhitzte selbst die Stellen, an denen weiche Planen wie dünne Kissen ausgelegt waren, um den Mörtel vor Rissen und Ausdehnungen zu schützen. Ben hatte erwartet, dass bei diesem Wetter mehr Betrieb in der Erholungsanlage herrschen würde, doch nur wenige Liegen im Bereich des Swimmingpools waren belegt, und Stapel von Handtüchern lagen unbenutzt unter den Sonnenschirmen.
»Tut mir Leid, dass ich mich verspätet habe«, sagte Ben.
»Sie sind vermutlich von etwas Wichtigem aufgehalten worden. Deshalb bin ich so an Ihnen interessiert. Kommen Sie, setzen wir uns an die Bar. Haben Sie Durst?«
»Zu dieser Jahreszeit in Jericho bin ich immer durstig«, erwiderte Ben.
Najarian lächelte. Der reiche Detroiter Geschäftsmann mit großen Immobilien-Holdinggesellschaften trug einen Frottee-Bademantel über seiner Badehose. Ben hatte ihn am größten der drei miteinander verbundenen Swimmingpools in dem Komplex ausrufen lassen, wo er seine Runden im Becken absolviert hatte. Najarian sah aus wie ein Mann, der hart daran arbeitete, fit zu bleiben. Er war ein paar Jahre älter als Ben und besaß eine tiefe Sonnenbräune, die nicht von seinen paar Tagen in Palästina stammte.
Sie setzten sich an die Pool-Bar. Ben wählte einen Stuhl, von dem er einen Blick auf den
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