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Die Hüter der Nacht

Titel: Die Hüter der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Land
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näherte, hatte man das Gefühl, eine andere Welt zu betreten: Kürzlich renovierte Geschäfte, Läden und Cafés prägten das Bild einer Gegend, die zuvor von heruntergekommenen Gebäuden beherrscht gewesen war. Die Renovierungen waren jedoch eingestellt worden. Arbeiten, die zuvor monatelang geruht hatten, waren nie wieder fortgesetzt worden, und so schienen die Gebäude einem ständigen Verfall preisgegeben zu sein. Und die Besitzer, die es geschafft hatten, ihre Geschäfte inmitten des Schutts weiter zu betreiben und geöffnet zu halten, kämpften um die wenigen Kunden, die sich ihre Waren und Dienstleistungen erlauben konnten.
    »He, was ist nun mit meinem Herd?«, quengelte die alte Frau weiterhin und stemmte sich schwerfällig aus ihrem Sessel auf.
    Ben fand die Wohnungsnummer der Familie Ashawi auf dem Briefkasten und stieg die Treppe zur vierten Etage hinauf, in der sie wohnten. Die Brandschutztür war entfernt worden, und als er über den Gang schritt, hörte er die Geräusche von Fernsehern und Radios durch die dünnen Wände der Wohnungen. Der schale Geruch von Essen, das längst gekocht und gegessen war, hing in der Luft, und die Wände des Flurs waren fleckig von Dreck und den Ausdünstungen, die unter den Türen der Wohnungen hervorgedrungen waren.
    Ben blieb vor der Wohnungstür der Ashawis stehen und klopfte an.
    »Die sind fort«, rief jemand.
    Ben wandte sich um und sah einen Mann mit einem Werkzeugkasten aus einer der anderen Wohnungen auftauchen. »Was meinen Sie mit fort?«
    »Weg. Abgehauen.« Der Mann kniff die Augen zu Schlitzen zusammen und spannte sich ein wenig an. »Was heißt das für Sie?«
    Ben näherte sich ihm und zückte seinen Ausweis. »Ich bin Inspector Bayan Kamal von der palästinensischen Polizei.«
    »Sind die deshalb so schnell abgehauen?«, fragte der Mann desinteressiert. »Weil die Polizei hinter ihnen her ist?«
    »Wer sind Sie?«
    »Ich arbeite hier. Bin der Hausmeister. Wenn etwas kaputtgeht, repariere ich es.« Er blickte sich um und zuckte die Achseln. »Es gibt viel zu tun.«
    »Werden Sie von der Autonomiebehörde bezahlt?«
    »Zu Anfang. Dann wurde das Gebäude an Geschäftsleute verkauft. Palästinenser, glaubte ich, aber dann hörte ich, dass es in Wirklichkeit Israelis sind. Ich habe sie nie gesehen. Sie zahlen mir ein wenig mehr und stecken dieselbe Summe wie die Vorgänger in das Haus – nämlich nichts.«
    »Sie sagten, die Ashawis sind weggezogen?«
    »Nein. Ich habe gesagt, sie sind abgehauen. Fort.« Er suchte an seinem Schlüsselbund nach dem passenden Schlüssel. »Hier, ich zeige Ihnen …«
    Er versuchte, einen Schlüssel ins Schloss der Wohnungstür zu schieben, stellte fest, dass es der verkehrte Schlüssel war, und probierte einen anderen. Ben wartete ungeduldig, bis der Hausmeister endlich den richtigen Schlüssel fand und die Tür aufschob.
    Ben betrat die Wohnung und erkannte sofort, was der Mann gemeint hatte. Die Ashawis hatten sämtliche Möbel zurückgelassen. Ben ging an einer kleinen Küche mit Essecke vorbei in ein Wohnzimmer, das einen Blick auf mehrere im Bau befindliche Luxushotels bot. Noch auffallender waren die Stahlgerüste einer Reihe hoher Bürogebäude, die ausländische Investoren in der Hoffnung bauten, Ramallah zu einem Handelszentrum machen zu können.
    Ben schaute aus dem Fenster und versuchte sich zu erinnern, was genau abgerissen worden war, um Platz für all die Neubauten zu schaffen, doch es waren zu viele Jahre vergangen, und die Erinnerungen an Ramallah waren wohl nicht wichtig genug, sie zu bewahren, und wurden nun durch den Anblick von Kränen und dem Lärm schwerer Baumaschinen ersetzt. Diese Geräusche fand Ben am bemerkenswertesten, denn er konnte sich nicht erinnern, so etwas in seiner Jugend gehört zu haben, als er in der großen, palästinensisch-christlichen Gemeinde in Ramallah aufgewachsen war. In jenen Tagen waren die Bauten mit Hammer und Säge errichtet worden, anstatt mit schweren Maschinen.
    Falls Ben sich entschied, nach Detroit zurückzukehren, würde es ihm seltsamerweise am meisten fehlen, zu erleben, wie Palästina vor seinen Augen wuchs. Er fragte sich allerdings, ob das ein Grund zum Bleiben oder zum Fortgehen war. Schließlich war er hierher zurückgekehrt, um die Welt seines Vaters in die Arme zu schließen und ein lebenswertes Leben zu finden. Aber in ein paar Jahren würde Palästina nicht mehr die Welt seines Vaters sein; die Palästinenser würden einen Werteverfall und neue Maßstäbe

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