Die Hüter der Nacht
dem Krebstod. Was machte einen sterbenden alten Mann zu einem Mörder? Sicherlich etwas in der Vergangenheit, eine Vergangenheit, die sie erkunden musste, um das Motiv zu finden, warum jemand Paul Hesslers Tod wünschte.
Sie hatte fast die Tür erreicht, als zwei Männer hindurchstürmten. Danielle musste sich zur Seite drehen, um nicht umgerannt zu werden.
Einer der Männer schaute zu ihr, und Erkennen blitzte in seinen Augen auf, bevor er den Blick auf das Kuvert heftete, das der Pathologe Danielle soeben gegeben hatte. »Ich nehme das an mich, falls es Ihnen nichts ausmacht, Pakad Barnea.«
Danielle wich nicht von der Stelle und hielt den Umschlag hinter dem Rücken. »Es macht mir etwas aus. Wer sind Sie? Wo sind Ihre Marke und Ihr Ausweis? Sie sind nicht von der Nationalpolizei.«
»Die Nationalpolizei ist nicht mehr für diesen Fall zuständig, Pakad.«
Danielle betrachtete die Männer genauer: Zwillinge aus Granit, in Sportsakkos gezwängt. Beide mit kurz geschnittenem Haar und gewaltigen Schultern.
»Commander Baruch erwartet Sie in Ihrem Büro«, fuhr der Sprecher fort. »Er wird ihnen alles erklären.«
Danielle hielt den Blick auf beide Männer gerichtet, besonders auf die verräterischen Wölbungen, die von ihren Waffen unter ihren eng sitzenden Sakkos verursacht wurden. »Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, wenn ich das von ihm persönlich hören will.«
»Überhaupt nichts«, sagte der Mann und zog ein Mobiltelefon hervor. »Drücken Sie auf die Sieben, und Sie können direkt mit dem Commander sprechen.«
Danielle nahm das Handy, tippte jedoch nicht sofort auf die Zahl. »Was wird hier gespielt?«
»Das hat Sie nicht mehr zu interessieren.«
»Wer sind Sie?«
»Das geht Sie ebenfalls nichts an.«
»Es ist mein Fall.«
»Nicht mehr, Pakad.«
19.
»Sie wohnen hier?«, fragte Ben Kamal eine alte Frau, die in der Halle des Mietshauses saß.
»Hat man Sie geschickt, um meinen Herd zu reparieren? Er ist immer noch kaputt.«
»Bedaure, ich bin nicht vom Reparaturdienst.«
»Wer sind Sie dann?«
Ben hatte an die Eingangstür des Mietshauses klopfen wollen, um die sitzende alte Frau auf sich aufmerksam zu machen, als er gesehen hatte, dass das Schloss beschädigt und die Tür offen war. So hatte er die stickige Halle betreten.
»Und wer repariert meinen Herd?«, fragte die alte Frau. Ohne auf ihre Frage zu antworten, ging Ben an ihr vorbei zu den Briefkästen, die in eine der Wände eingelassen waren. Dort suchte er nach dem Namen ›Ashawi‹ – die Familie des palästinensischen Mädchens namens Zeina, das mit den drei toten Schülern der Gemeinschaftsschule befreundet gewesen war.
Er erkannte das Gebäude in der Al-Nahdah Street nahe dem belebten Manara Circle als eines derjenigen, die von der Palästinensischen Autonomiebehörde ursprünglich als Demonstration ihrer Fürsorge für die Bevölkerung gebaut worden war. In jenen Tagen war es das Ziel gewesen, auf die Schnelle so viele erschwingliche Wohnungen wie möglich fertig zu stellen, und man hatte wenig auf die Form oder Funktionalität geachtet. Das Ergebnis waren vier Stockwerke ohne erkennbare Architektur, ein Betonklotz, der von außen so trist und schäbig aussah wie von innen. Ben wusste, dass viele der veranschlagten Gelder für dieses und andere Projekte auf geheimnisvolle Weise verschwunden waren, was schließlich dazu geführt hatte, dass weniger gebaut worden war und es einen Ausverkauf der Villen für hohe palästinensische Beamte an der Küste Gazas gegeben hatte.
Ramallah, die fortschrittlichste Stadt der West-Bank, war bereits als Verwaltungszentrum der palästinensischen Regierung vorgesehen, wenn es einen eigenen Staat geben würde. In den vergangenen Monaten jedoch war die Stadt das Zentrum schlimmer Aufstände gewesen, die tiefe Narben hinterlassen hatten.
Dennoch wirkte die nähere Umgebung der alten Stadt auf Ben bemerkenswert unverändert. Die quadratischen Gebäude mit Flachdächern waren alt und verblasst, und ständig stieg in der trockenen Hitze der West-Bank Staub von ihnen auf. Anzeichen auf die moderne Zeit waren begrenzt auf vereinzelte Fernsehantennen auf verwitterten Flachdächern, wie wahllos verlegten elektrischen Leitungen und abgenutzte, verbeulte Autos, die an den Rändern der beschädigten Straßen parkten, die nach Schießereien mit Handfeuerwaffen und dem gelegentlichen Einschlag einer verirrten israelischen Rakete mit Schutt übersät waren.
Doch wenn man sich dem Zentrum Ramallahs
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