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Die Hüter der Nacht

Titel: Die Hüter der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Land
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beobachtete, wie sich der Himmel draußen vor dem Fenster erhellte. Er dachte wieder an das Arbeitslager, wo die Sonne scheinbar nur im Sommer geschienen, den stinkenden Boden ausgetrocknet und einen widerlichen, Übelkeit erregenden Gestank hervorgerufen hatte. In der Fabrik hatte es nach Chemikalien und Adstringentia gerochen. Des Abends hatte sich Hessler mit einem gestohlenen Stück Seife abgeschrubbt, wann immer er die Möglichkeit gehabt hatte. Doch den Gestank von Jod und Schwefel hatte er nicht loswerden können. Sogar heute noch bildete er sich manchmal ein, trotz seiner feinen Seifen, Parfums und seidenen Hemden ein Hauch dieses Gestanks wahrzunehmen, als stiege er aus seinen Poren, um ihn daran zu erinnern, dass dieser widerliche Geruch ebenso wenig verschwunden war wie die Erinnerungen, die ihn hervorgerufen hatten.
    Für den Tag der Beerdigung hatten die Meteorologen heißes und trockenes Wetter vorhergesagt, mit drückender Schwüle am Nachmittag. Das ordentlich gemähte Gras des Friedhofs und die Blumen würden sauber und frisch duften, doch Hessler bezweifelte nicht, dass ihm vor dem Ende des Tages der Gestank des Arbeitslagers in die Nase steigen und sich einen Weg durch die parfümierte und gepuderte Haut bahnen würde. Dieser Gestank lauerte für immer unter der Oberfläche und wartete nur darauf, hervorzukommen und Hessler daran zu erinnern, wie wenig ihn von diesen vergangenen Jahren, von diesem vergangenen Leben trennte …
    Aris Tod hatte ihn daran erinnert. Die Identität des Killers, die so unmöglich wie unvermeidbar war.
    Wie hatte das geschehen können?
    Gerade als Paul Hesslers Leben in Ordnung gekommen war, die Vergangenheit endlich verschwunden war und die Zukunft mit Ari an der Spitze seines Imperiums rosig ausgesehen hatte …
    Ari war von klein auf der Einzige gewesen, der sich für das Geschäft seines Vaters interessiert hatte. Schon als kleiner Junge hatte er versucht, die Namen der zahlreichen Holdinggesellschaften von Hessler Industries mit seinen Alphabettafeln zu buchstabieren. Er hatte seinen Vater um eine Liste gebeten, als er Lesen gelernt hatte. Sehr bald schon hatte Ari die Börsenberichte und Aktiennotierungen lesen können.
    Paul Hesslers Schultern sanken herab, und er begann zu schluchzen. Die Vergangenheit hatte wenig anderes als Schmerz aufzuweisen, und bei der Zukunft – vor Tagen noch so viel versprechend – war es nun genauso. Paul wusste nur zu gut, wie es ist, ohne Hoffnung zu leben, und jetzt würde er es wieder erfahren.
    Vielleicht sollte er Chief Inspector Danielle Barnea den Job erledigen lassen, für den er sie erst vor zwei Tagen ausgewählt hatte. Aber dieses Risiko konnte er nicht eingehen. Es war besser, denjenigen frei herumlaufen zu lassen, der in Wirklichkeit hinter der Ermordung seines Sohnes steckte …
    Hessler wusste, dass Franklin Recht hatte. Die Sicherheitsmaßnahmen mussten verstärkt werden. Er wusste, dass der versuchte Anschlag auf sein Leben in Tel Aviv kein Zufall gewesen war. Jemand hatte sich mit seiner Vergangenheit beschäftigt und die Wahrheit herausgefunden. Und solche Dinge wurden eher komplizierter als einfacher.
    Aber heute, jetzt und hier, zählte das alles nicht. Heute würden ihn die Geister der Vergangenheit begleiten und jenen chemischen Gestank verströmen, der vor langer Zeit wie eine Glocke über dem Arbeitslager bei Lodz gehangen hatte.
    Heute würde er seinen Sohn beerdigen.

30.
    Als Danielle vor ihrem Büro eintraf, war abgeschlossen. Sie fand nach einigem Suchen den Schlüssel in ihrer Handtasche, schob ihn ins Schloss und wollte aufschließen.
    Der Schlüssel bewegte sich nicht.
    Sie blickte über die Schulter, zwang sich zu einem Lächeln und bemühte sich, lässig zu wirken. Ein paar rangniedrigere Kollegen, Mefakeah misneh und Sgan Mefakeah , Sub und Deputy Inspectors, drehten den Kopf und wichen Danielles Blick aus. Sie ging an ihnen vorbei zum Aufzug und drückte auf die 4.
    In der obersten Etage des Präsidiums der Nationalpolizei saß Moshe Baruch hinter dem Schreibtisch im Büro des Commanders und lächelte, als Danielle eintrat.
    »Ich habe Sie erwartet, Pakad.«
    »Ich kann nicht in mein Büro.«
    »Ich weiß. Ich habe das Schloss auswechseln lassen.«
    Danielle spürte Hitze in sich aufsteigen.
    Baruch neigte sich vor und musterte sie. »Anscheinend sind Sie in eine Prügelei geraten und endlich mal auf einen ebenbürtigen Gegner getroffen, wie?«
    Danielle schaute ihm in die Augen. »Nein, noch

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