Die Hüter der Nacht
ihre perlweißen Zähne schimmerten im Mondschein. »Ari wusste genau, wie Sie denken. Deshalb leitete er die Forschungsgelder aus einer anderen Quelle um und änderte im Hessler Institute die Protokolle des Projekts.«
»Damit ich es nicht erfuhr.«
»Ari glaubte, vor der vielleicht größten Entdeckung in der Geschichte der medizinischen Wissenschaft zu stehen.«
»Welche Rolle haben Sie dabei gespielt, Sanderson?«
Tess zögerte nicht mit der Antwort. »Ich war verantwortlich für die Umleitung von Geldern in ein Phantom-Projekt, sodass Projekt vier-sechs-null-eins in der Entwicklung bleiben konnte.«
»Ein Grund, Ihnen fristlos zu kündigen.«
»Wir beide wussten das, Ari und ich.«
»Wollen Sie mir sagen, mein Sohn war bereit, für dieses Projekt seine Karriere zu opfern?«
»Ja. So sehr glaubte er daran.«
»Dann müssen Sie mir unbedingt erzählen, wie sein Glaube sich als berechtigt erwies.«
»Eine abgeschlossene und geheime Studie, die von den Empfängern für jedwede Maßnahme abgesegnet worden war. Sie wussten nie, ob sie überhaupt Projekt vier-sechs-null-eins erhielten.«
»Als ich das Projekt abschloss«, erinnerte sich Paul Hessler, »waren wir bei Projekt vier-fünf-null-zwei, und alle Probanden waren gestorben.«
Sie wussten beide – und akzeptierten beide –, dass der Zweck solcher geheimer Forschungen nicht so sehr darin bestand, festzustellen, ob eine neue Droge wirkte, sondern um herauszufinden, an welchem Punkt sie nicht mehr zum Tod führt, sodass eine exakte und sichere Dosierung bestimmt werden konnte. Erst dann wurden offizielle klinische Untersuchungen vorgenommen.
»Acht weitere Versuchsreihen scheiterten, nachdem Ari das Projekt übernahm«, erklärte Tess Sanderson. »Aber Projekt vier-sechs-null-eins erzielte positive Ergebnisse bei acht von zehn Patienten, denen die Droge verabreicht wurde.«
»Acht von zehn? Das ist beispiellos!«
Sanderson nickte begeistert. »Und alle Patienten hatten das so genannte Sterblichkeitsalter erreicht. Sieben von ihnen leben noch heute.«
Paul Hesslers Augen weiteten sich. »Warum, um Himmels willen, hat mein Sohn mir nichts davon erzählt?«
»Er hatte es vor. Aber er wollte zuerst sämtliche Daten in Händen haben. Er hat Ihren Zorn gefürchtet.«
»Zorn? Ich hätte ihm einen Kuss gegeben.« Zum ersten Mal seit Tagen lächelte Paul, doch das Lächeln verschwand rasch, und er spürte, wie seine Augen wieder feucht wurden.
»Sofort nach Ihrer gemeinsamen Rückkehr aus Israel, sobald das Arrow-Antiraketen-System entwickelt war, wollte Ari Ihnen die Testergebnisse zeigen. Zuvor wollte er Sie durch nichts ablenken.«
»Deshalb hatte er diese Party geplant?«
Tess Sanderson nickte traurig.
»Sie wissen, was das bedeutet, Sanderson, nicht wahr?«
»Wir können nur Vermutungen anstellen.«
»Versuchen Sie es. Ich möchte die Vision meines Sohnes teilen.«
Tess Sanderson seufzte. Sie fühlte sich sichtlich unbehaglich bei dieser Aufgabe. »Es bedeutet die Revolutionierung der ärztlichen Behandlungsmethoden für die meisten tödlichen Krankheiten. Die Beendigung der Leiden von Millionen Patienten. Verlängerung von Menschenleben. Die Rettung von Familien.«
»Hat er auch den möglichen wirtschaftlichen Gewinn erwähnt?«
Tess Sanderson lächelte leicht. »Er hat sogar detaillierte Berichte erstellen lassen. Nach den jüngsten Hochrechnungen betrug das Potenzial bis zu fünfzig Milliarden Dollar allein im ersten Jahr, in dem die Droge auf dem Markt ist.«
Sie glaubte, diese Informationen würde Paul Hessler begeistern; stattdessen ließ er den Kopf hängen und wirkte so traurig wie an diesem Morgen am Sarg seines Sohnes.
Tess Sanderson berührte kurz die Schulter des alten Mannes. »Aber nur um das Geld ging es ihm nie. Ari betrachtete es als Chance, sich Ihnen zu beweisen. Er wusste, dass Sie beeindruckt von ihm gewesen wären, hätte er das Projekt erfolgreich abgeschlossen.« Sie wartete, bis Paul Hessler sie wieder anblickte, bevor sie fortfuhr. »Das sollten Sie wissen.«
Hessler tupfte sich mit einem Taschentuch über die feuchten Augen. »Sagen Sie mir, Sanderson, wie habt ihr beiden das alles hinter meinem Rücken geschafft?«
»Sie waren zu sehr in das Arrow-Antiraketen-Projekt für Israel vertieft, deshalb. Meine gesamte Kommunikation mit Ari vom Institut aus fand per Fax oder E-Mail über unsere Hauptfiliale in Tel Aviv statt. Der Durchbruch kam, während Sie beide dort waren. Vor gut einem Monat. Er sagte mir, er
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