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Die Hueter Der Rose

Die Hueter Der Rose

Titel: Die Hueter Der Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gable
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bestiehlt uns? Und Raymond unternimmt nichts dagegen?«
    Joanna schaute hastig über die Schulter, um sich zu vergewissern, dass niemand sie hörte. »Das ist es, was Alice denkt. Und ich fürchte, sie könnte Recht haben. Die ›kleine Maud‹ ist erwachsen geworden, John.«
    »Und raffgierig?«
    »Man kann es ihr nicht einmal wirklich verübeln, nicht wahr? Sie ist im Dorf schlecht gelitten. Die Leute schneiden sie oder beschimpfen sie offen als Raymonds Hure. Und Raymond ist nicht oft genug hier, um sie vor dieser Feindseligkeit zu beschützen. Wenn sie wirklich gelegentlich ein bisschen Fleisch oder Brot mitgehen lässt, um sie im Dorf billig feilzubieten, dann nur, um sich ein wenig Freundlichkeit zu erkaufen.«
    »Also wirklich, Jo«, wandte er mit einem Kopfschütteln ein. »Gibt es auch irgendein Vergehen, für das du keine Entschuldigung findest? Wenn sie hier stiehlt, muss ihr Einhalt geboten werden. Und wenn Raymond das nicht tut, dann liegt es bei Fitzroy. Oder nicht?«
    Seufzend führte sie ihn in ihre Kammer, und nachdem John auf einem der Schemel an dem kleinen Tisch Platz genommenhatte, antwortete sie: »Er ist ein großartiger Steward, weißt du. Er tut alles, damit es den Menschen von Burg, Gestüt und Dorf wohl ergeht. Er ist ein kühler Rechner. Aber zu nachsichtig. Solange Vater noch lebte, war es egal. Aber Raymond …«
    »Ist ein schwacher Charakter?«
    Joanna dachte einen Moment nach, ehe sie antwortete. »Nein. Ich glaube nicht. Nur leichtsinnig. Raymond … hat sich bis auf den heutigen Tag geweigert, erwachsen zu werden.« Sie lächelte traurig. »Oh, John. Wie ich wünschte, du wärest der Ältere.«
    »Ja. Ich auch, glaub mir.« Es gab wohl keinen anderen Menschen, dem er diese schlichte Tatsache hätte gestehen können.
    Joanna war nur fünf Jahre älter als er. Sie war die Einzige seiner zahlreichen Geschwister, mit der er wirklich gemeinsam aufgewachsen war. So war es nur natürlich, dass sie ihm näher stand als alle anderen.
    »Wie geht es der kleinen Blanche und ihrem Bruder?«, erkundigte er sich.
    Joannas Miene hellte sich auf. »Prächtig. Sie sind sehr lebhaft, alle beide. Ich beneide ihre Amme nicht.«
    »Ich schätze, unsere hatte auch kein leichtes Los.«
    Joanna lachte. »Bestimmt nicht. Mit Gottes Hilfe bekommen Blanche und Edward im Mai ein Geschwisterchen. Diese Schwangerschaft ist leichter als letztes Jahr. Ich bin zuversichtlich, dass alles gut geht.«
    Er drückte wortlos ihre Hand. So wie Joanna um ihn bangte, wenn er im Feld stand, bangte er um sie, wenn sie ein Kind trug. Eines hatte sie während der ersten Schwangerschaftsmonate verloren. Eins war im vergangenen Jahr tot zur Welt gekommen.
    Sie brachte ihm ein dünnes, in blaue Seide geschlagenes Büchlein, legte es vor ihm ab und setzte sich ihm gegenüber. »Da. Es sind ein paar Gedichte, die Mortimer nach dem Fall von Caen geschrieben hat. Er hat sie mir geschickt, und ich musste sofort an dich denken. Ich weiß, dass du gerne etwas zu lesen dabei hast, wenn du dort drüben im Krieg bist.«
    John betrachtete das Büchlein mit verengten Augen, die Schultern ein wenig hochgezogen. Dieser Blick machte ihr zu schaffen. Er war verstört und gleichzeitig voller Zorn.
    »Es sind keine Kriegsgedichte«, fügte sie hastig hinzu. »Im Gegenteil. Sie sprechen von schönen Dingen. Vom Erwachen der Natur im Frühling, von der Liebe eines Vaters, von einem Becher Wein an einem Sommerabend. Mortimer hat sie geschrieben, um nicht in Schwermut zu versinken, stand in seinem Brief.« Sie schob ihm den schmalen Band näher hin. »Ich bin sicher, sie werden dir gefallen.«
    John nickte und steckte sie ein.
    Joanna legte die schmale, schneeweiße Linke auf seine lose Faust. »Er schrieb, Caen sei das Schrecklichste gewesen, was er je erlebt habe.«
    John wandte den Blick ab. »So geht es mir auch.«
    Gleich zu Beginn dieses zweiten Feldzuges hatten König Harry und seine Armee Caen belagert, dann im Sturm genommen und so fürchterlich gewütet, dass keine normannische Stadt danach gewagt hatte, ihnen lange Widerstand zu leisten. Strategisch hatte es sich also als sinnvoller Schritt erwiesen. Aber John hatte in Caen Dinge getan, die ihn noch heute schaudern ließen. »Ich würde es vorziehen, nicht darüber zu sprechen.«
    »Wie du willst.« Bekümmert betrachtete Joanna ihren Bruder, der noch so jung, dessen Gesicht aber schon von so vielen Schrecken gezeichnet war. Es wirkte hohlwangig, die Haut mit dem dunklen Bartschatten bleich

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