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Die Hueter Der Rose

Die Hueter Der Rose

Titel: Die Hueter Der Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gable
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um den Verstand zu bringen drohte. Er spürte das ganz genau. Er hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Da er keinen Unterschied zwischenTag und Nacht erkennen konnte, wusste er nicht, ob er seit einem Monat oder seit einem Jahr hier unten war. Es gab Stunden, da er nicht einmal sicher war, ob er überhaupt noch lebte, ob er nicht vielleicht längst gestorben und in der Hölle war. Und einmal war er aufgewacht und wusste nicht mehr, wer er war. Es hatte eine geraume Zeit gedauert, bis es ihm wieder eingefallen war. Jedenfalls war es ihm so vorgekommen. Und seither fürchtete er, seinen Verstand, sich selbst – alles, was John of Waringham einmal ausgemacht hatte – hier in der Dunkelheit zu verlieren.
     
    Mit einem heiseren Schrei fuhr er aus seinem jüngsten Albtraum, der ihn jetzt fast jedes Mal heimsuchte, wenn er einschlief. Bei der ruckartigen Bewegung schoss Schmerz wie flüssiges Feuer durch Nacken, Schultern, die Arme und seinen ganzen Oberkörper. John erstarrte. Keuchend versuchte er, sich zu orientieren. Sie hatten ihn wieder angekettet, das erkannte er sofort. Nicht an das Halseisen dieses Mal, sondern mit den Händen auf dem Rücken an eine Kette, die so hoch über dem Boden baumelte, dass sie seine verdrehten Arme nach oben und seinen Oberkörper nach vorn zwang. Wann hatten sie das getan? War er wirklich in dieser unmöglichen Haltung eingeschlafen?
    Er konnte sich nicht erinnern.
    Er konnte sich an so vieles nicht erinnern. Nur an den Traum vom Fall Caens. Er kannte ihn schon von früher, aber dass die kopflose Frau mit dem Säugling an der Brust, diese schaurige Madonna, die damals tatsächlich das Herz des Königs erweicht hatte, Juliana of Wolvesey war, das war eine neue Variante, die sein verwirrter, gequälter Geist erst hier unten hervorgebracht hatte.
    Im selben Moment, als ihm klar wurde, dass er seine Füße und das verdreckte Bodenstroh sehen konnte, hörte er Victor de Chinons Stimme über sich: »Ich dachte schon, du wärst endlich krepiert.«
    Langsam und mit großer Mühe richtete John den Oberkörperein wenig auf und hob den Kopf, bis er Chinon ins Gesicht sehen konnte. Er wollte ihn verfluchen, doch ehe er den Mund öffnen konnte, fühlte er etwas Winziges mit zu vielen Beinen aus seinem Bart und über die Unterlippe krabbeln, bevor es wieder im verfilzten Gestrüpp verschwand.
    »Du bist einfach zu langsam, Waringham.« Chinon schüttelte seufzend den Kopf. »Das war dein Frühstück.« Er lachte glucksend über seinen kleinen Scherz.
    Aus fiebrigen Augen starrte John zu ihm hoch und machte sich daran, seine letzten Reserven zu mobilisieren, um Chinon um einen Schluck Wasser zu bitten. Doch er war schon wieder zu langsam.
    Der Franzose packte die kurze Kette, die Johns Handgelenke mit der Wand verband, und riss sie mit einem Ruck nach oben.
    John stieß hart mit der Stirn gegen sein eigenes Knie. Ein rasselndes Stöhnen drang aus seiner Kehle. Der Schmerz in den Schultern war mörderisch, löschte jede andere Wahrnehmung aus, sogar den Durst. John hatte die Augen zugekniffen. Grelle, rötliche Lichter pochten rhythmisch vor seinen Lidern. Er biss die Zähne zusammen, um nicht gar zu laut zu schreien. Von seinem Stolz war nicht viel übrig; es ging schon lange nicht mehr darum, nicht zu schreien. John war bescheiden geworden. Wenn es ihm gelang, sich so weit zu beherrschen, dass seine eigene Stimme ihm nicht in den Ohren gellte, war er mit sich zufrieden.
    Chinon ließ die Kette los, und die gefesselten Hände sackten ein Stück herunter, der Schmerz in den Schultern ebbte ab. John rührte sich nicht. Die Stirn auf den Knien, lauschte er seinem abgehackten Keuchen und wartete. Er wusste, das Chinon sich so leicht nicht zufrieden gab.
    Schließlich beugte der französische Ritter sich über ihn und legte erneut die Hand um die Kette. »In Orléans hängen sie die Übeltäter, die nicht gestehen wollen und selbst den Daumenschrauben standhalten, so an den auf dem Rücken gefesselten Händen auf. Kannst du dir vorstellen, was dann passiert?«Er ruckte wieder an der Kette. John fing an zu würgen und spuckte ein bisschen Galle zwischen seine Füße, aber davon ließ Chinon sich nicht beirren. »Ich hab’s mal gesehen. Hast du eine Ahnung, wie sich das anhört, wenn die Schultern aus den Gelenken springen, he?«, raunte er verschwörerisch. »Soll ich’s dir mal vorführen?« Er stemmte einen Fuß in Johns Kreuz und riss die Kette ein Stück höher.
    John drehte den Kopf zur Seite und

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