Die Hueter Der Rose
irrst dich«, entgegnete John. »Liz Wheeler hat mir das Leben gerettet, und ich stand in ihrer Schuld. Ich habe diese Schuld auf die einzige Weise beglichen, die mir einfiel: Ich habe verhindert, dass sie Gefahr läuft, dir allein zu begegnen.«
»Und was genau, denkst du, wäre passiert, wenn sie mir allein begegnet wäre, he? Wofür hältst du mich eigentlich?«
»Frag mich lieber nicht, Raymond …«
Das brachte ihm erwartungsgemäß noch eine Ohrfeige ein, doch sie beeindruckte John so wenig wie die erste.
»Ich frage dich aber!«, grollte Raymond. »Und ich frage dich, was aus deinem Respekt geworden ist!«
»Na schön. Dann sag ich es dir: Ich halte dich für einen versoffenen Wüstling, der niemals an irgendjemanden als an sich selbst denkt. Aber du besitzt dennoch so etwas wie Anstand, darum glaube ich nicht, dass du Liz die Kleider vom Leib gerissen und dich auf sie geworfen hättest, denn das ist einfach nicht dein Stil, richtig? Trotzdem fürchtet sie sich vor dir, und sie will dich nicht sehen. Das Mindeste, was du ihr schuldest, ist, das zu respektieren. Und weil du es nicht tust, musst wiederum du auf meinen Respekt verzichten, Bruderherz .«
Er wollte sich abwenden, aber Raymonds knochige Pranke lag plötzlich um seinen Arm wie eine Schraubzwinge. »Du …«
»Nur zu, Raymond. Worauf wartest du? Ich bin erst vierzehn Jahre alt und immer noch fast einen Kopf kleiner als du, das Risiko ist also überschaubar, würde ich sagen.«
Raymond ließ ihn los und schaute ihn wortlos an.
Bis zu diesem Moment war es John gelungen, seinem Bruder furchtlos die Stirn zu bieten. Seit dem Earl of Cambridge machte ihm so leicht niemand mehr Angst – ein Umstand, für den er dem übellaunigen Cousin des Königs fast dankbar war –, doch Raymonds unverwandter Blick, die ausdruckslose Miene konnten einem doch den einen oder anderen Schauer über den Rücken jagen.
»Du bist ein selbstgerechter, aufgeblasener kleiner Wichtigtuer, John«, stellte Raymond untypisch leidenschaftslos fest. »Du hast kein Recht, an meiner Ehre zu zweifeln, und ich verlange, dass du dich entschuldigst. Sei klug und tu es.«
John schüttelte langsam den Kopf. »Ich wüsste nicht, wofür.«
Raymond ließ ihn stehen und ging mit langen Schritten davon. Über die Schulter sagte er noch: »Morgen bei Sonnenaufgang reiten wir zurück nach Westminster.«
Und danach sprach er kein Wort mehr mit John.
Eltham, Januar 1414
M orgen noch. Dann haben wir die Feiertage hinter uns.« Raymond machte keinen Hehl aus seiner Erleichterung.
Mortimer warf ihm einen Seitenblick zu. »Und ich dachte immer, du hättest eine Schwäche für Weihnachtsfeiern. Schließlich isst und trinkst du doch gern.«
Nebeneinander ritten sie den schmalen Pfad entlang, der sich durch den Wald um den königlichen Palast von Eltham schlängelte. Ihr Atem bildete weiße Nebelwolken in der klaren Winterluft, und die Flanken ihrer Pferde dampften nach dem scharfen Galopp.
Raymond zuckte ungeduldig mit den Schultern. »Die Weihnachtsfeiern sind mir ein wenig zu zahm geworden. Im Vergleich zu früher, meine ich. Ich glaube, wenn Humphrey ofGloucester das nächste Mal ein frommes Gedicht vorträgt, wächst mir ein Heiligenschein.«
Mortimer lächelte nachsichtig. Im Gegensatz zu Raymond wusste er schon lange, dass der jüngste Bruder des Königs eine Schwäche für gelehrte Bücher und schöne Verse hatte, war Mortimer doch einer der wenigen in Harrys Umgebung, mit dem der junge Gloucester über diese Leidenschaft sprechen konnte, ohne zu riskieren, ausgelacht zu werden. »Du kannst nicht ernsthaft behaupten, die Feierlichkeiten seien weniger ausgelassen als früher. Es gibt jeden Abend Musik und Tanz, Raymond.«
»Hm.« Raymond brummte. Dann seufzte er tief und stieß eine besonders beachtliche Dampfwolke aus. »Du hast Recht. Hör nicht auf mich. Ich bin unleidlich.«
»Das ist mir nicht entgangen«, erwiderte sein Stiefbruder. »Warum?«
»Keine Ahnung. Lange Friedenszeiten bekommen mir nicht, scheint es. Sie machen mich rastlos.«
Mortimer nickte überzeugt. »Nun, sei guten Mutes. Ich glaube nicht, dass du noch lange darben musst.«
Raymond grinste flüchtig. »Nein, da magst du Recht haben. Die Vorbereitungen werden jedenfalls mit aller Entschlossenheit vorangetrieben. Und Bischof Beaufort ist wahrlich ein Meister des diplomatischen Verwirrspiels. Den ganzen Herbst über sind die Verhandlungen mit den Franzosen nicht weiter gediehen, als darüber zu streiten, in
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