Die Hueterin der Geheimnisse
Töpfern wie die anderen.«
Lig wusste, dass dies stimmte. Brond und Gledda waren geborene Töpferinnen und fertigten bereits ordentliche Schüsseln an, noch bevor sie nähen konnten. Als Lig aufwuchs, übernahm sie daher den größten Teil des Kochens und Saubermachens und überließ ihren beiden Schwestern die Freiheit, ihre Handwerkskunst zu vollenden, überzeugt davon, dass sie selbst die wichtigste Rolle von allen einnehmen würde, nämlich den nächsten Schwung an Töchtern in die Welt zu setzen.
Doch als sie alt genug war, um während des Springtrees zu tanzen und nachher mit einem süßen jungen Mann in den Wald zu laufen, war Brond bereits mit Mim schwanger. Dadurch hatte der erste Springtreemorgen ihr einen bitteren Nachgeschmack beschert, den der Nutzlosigkeit. Denn wenn Brond schwanger war, dann waren sie und Gledda unfruchtbar. So war das immer gewesen. Der arme Ham, der Hufschmied, hatte nicht gewusst, wie ihm geschah, als sie sich hinterher von ihm weggerollt und ins frische Gras geweint hatte. Sie hatte versucht, es ihm zu erklären, doch bis zum Tag ihres Todes verdüsterte sich sein Gesicht, wenn er sie anschaute, so wie sich das Gesicht eines jeden Mannes verdüstert, der an eine Niederlage erinnert wird. Er heiratete Rosa und hatte sechs Kinder, die ihm wie junge Hunde
folgten. Lig hatte immer gewusst, dass er einen guten Vater abgeben würde. Das Haus der beiden besuchte sie jedoch nicht häufig, und ihre alte Freundschaft mit Rosa verkümmerte.
Brond war froh gewesen, dass sie sich um Mim kümmerte, vor allem in der schlechten Zeit, als sie noch den Schock über den Tod ihrer Mutter und anschließend ihrer Tanten verkraften mussten. Obwohl sie ihn hatten kommen sehen, war es dennoch ein Schock gewesen. Keiner hatte ihnen gesagt, was sie zu erwarten hatten, so lange, bis Mim geboren wurde.
»Du darfst es weder ihr noch den anderen Mädchen erzählen, wenn sie kommen«, hatte Tante Bryne eindringlich gesagt, bevor sie das Fieber und der Husten dahinrafften. »Denn dann würden sie versuchen, nicht schwanger zu werden, bis ihre Mütter und Tanten alle tot waren, und das könnte zu spät sein. Lass sie einfach ihre eigene Zeit auswählen und sei dankbar.«
»Jawohl«, hatte ihre Mama gesagt. »Wir haben ein gutes Abkommen mit dem Feuergott getroffen. Er gibt uns Gesundheit und Wohlstand, er beschützt uns vor Krankheit und bringt uns einen schnellen Tod, wenn die Zeit dazu gekommen ist. Aber er mag es, wenn seine Dienerinnen jung und lebendig sind, so wie er.«
»Unsere Linie wird niemals aussterben.« Tante Aesca holte Luft. »Denk daran. Niemals, so lange das Feuer brennt.«
Das war ein kleiner Trost für Lig und die anderen, während sie zusahen, wie die drei, ihre drei geliebten Verwandten, dahinsiechten und starben. Danach jedoch klammerten sie sich daran wie an einen Strohhalm. Wenigstens gab es einen Grund für die Todesfälle. Die meisten Menschen, erläuterte Brond, stürben ohne jeden Grund, und damit könne man doch sicher nur schwer fertigwerden.
Lig dachte darüber nach.
Brond dabei zuzuschauen, wie sie Mim fütterte, war schmerzhaft gewesen, ein Schmerz in ihrer Brust, der verbunden war mit jenem Schmerz von Kummer und Elend, den sie zu jener Zeit auch spürten. Mittlerweile liebte Lig Mim wie ihr eigenes Kind.
Mit anzuschauen, wie Brond eine weitere Tochter gebar, und dieses Mal ein Mädchen mit so flammendem Haar wie das ihre, war für sie fast unerträglich.
»Sie sollte mein sein«, murmelte Lig in ihr Kissen. »Wir sollten jede eine haben. Das wäre gerecht.«
Als Brond rundlicher und behäbiger wurde und häufiger am Feuer in der Küche saß als an der Töpferscheibe in der Werkstatt, fiel es Lig schwer, sich im gleichen Zimmer aufzuhalten. Sie verbrachte nun mehr Zeit im Garten. Sie baute ohnehin die meisten ihrer Lebensmittel an, Gemüse und Kräuter, Obst, Hühner, Enten und Eier. Es gab zwei Gärten, einen von einer Mauer umgebenen Garten neben der Küche und einen Obst- und Gemüsegarten, der sich von der anderen Seite des Hauses bis zum Fluss hinab erstreckte.
In dem eingefriedeten Garten zog sie Gemüse und Kräuter. Auch hielt sie dort zwei Spalierbäume, Aprikose und Kirsche. Ihre Tante Aesca hatte sich zu ihren Lebzeiten um den Garten gekümmert und war der Meinung gewesen, es sei nutzlos, etwas anzubauen, das man weder essen noch als Medizin verwenden konnte. Blumen gab es keine, außer den wenigen Blüten an den Pflanzen, die sie für die Aussaat des
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