Die Hueterin der Geheimnisse
spielen; es gab Abschnitte, in denen lediglich der Rhythmus weiter erklang. Ash spreizte seine Hände und benutzte seine gesamte Handfläche dazu, um die ersten Trommelschläge so laut wie möglich auszuführen. Die Gäste hielten inne und schauten zu, woraufhin Flax direkt in den Refrain einstimmte. Eine gute Entscheidung. Viele grinsten und hörten zu, und ein paar, die offenkundig am meisten getrunken hatten, fingen sogar an mitzusingen.
Hell strömte das Blut des dunkelhaarigen Feinds,
Rot bewegten sich die Schwerter der Eroberer,
Gewaltig die Schlachten, gewaltig die Heldentaten,
Von Actons Gefährten, den beherzten Männern.
Ash dachte an Bramble. Er achtete zwar weiter auf das Trommeln, doch die untere Gedankenebene, tief in seinem Inneren, musste sich mit etwas anderem beschäftigen, und er wollte nicht über Flax nachdenken, darüber, wie perfekt er sang, darüber, dass er genau der Sohn war, auf den seine Eltern gehofft hatten. Also dachte er stattdessen an Bramble und fragte sich, was sie wohl gerade durchmachte. Nun gelangten sie an den ersten Abschnitt, in dem er allein trommeln musste, und er verbannte alles aus seinen Gedanken
außer dem Rhythmus, entschlossen, sich nicht vor Flax zu blamieren. Flax setzte genau im Takt wieder ein, so präzise wie Swallow, und Ash erhöhte das Tempo so, wie es sein musste. Ihm war so übel wie schon beim Trommeln für seine Eltern. Jetzt war es sogar noch schlimmer, weil er damals in ständiger Übung gewesen war. Dieses Lied hatte er über drei Jahre lang nicht mehr begleitet. Aber die Musik hallte in seinem Kopf wider. Wenn er auch sonst nichts wusste, die Lieder kannte er. Außer denen, die sein Vater ihm nicht beigebracht hatte.
Bei dem Gedanken daran wurden seine Hände unsicher, auch wenn Ash sich sofort korrigierte. Flax ließ sich nichts anmerken, doch Ash war überzeugt davon, dass er es sehr wohl bemerkt hatte. Sein Gesicht glühte. Die Gäste hatten es nicht mitbekommen. Sie stießen im Takt mit ihren Krügen an, sodass Ash ein wenig nachließ, um seine Hände zu schonen. Als Flax erneut die ersten Worte des Refrains sang, stimmten die Gäste begeistert mit ein. Sie sangen den letzten Refrain dreimal, und dieses Mal, als das Lied zu Ende war, warfen sie ihnen Münzen zu.
Dann kam die Wirtin mit einem kleinen Bier für jeden von ihnen heraus und lud sie dazu ein, sich in den Garten des Wirtshauses zu setzen.
»Ich schätze mal, das ist nicht wirklich in einem Gasthaus, nicht wahr?«, sagte Flax und grinste.
Ash ging zu einem der Tische, was besser für seinen Rücken war und seinem Trommelspiel mehr Resonanz verlieh. Seine Finger schmerzten jedoch immer noch. Flax stellte sich neben ihn, und sie trugen ein weiteres halbes Dutzend Lieder vor; Kriegslieder und Liebeslieder und, am Ende, als die Gastwirtin ihnen das Zeichen zum Aufhören gab, ein Wiegenlied, das jedem der Anwesenden bekannt war.
Schließ die Augen, schließ die Augen,
Mein kleiner Schatz.
Du bist müde, kleiner Junge,
Also schlaf jetzt, mein Herz …
Die angetrunkenen Männer wischten sich die Tränen aus den Augenwinkeln, während sie an ihre verstorbenen Mütter dachten, und die jungen Frauen wurden sentimental beim Gedanken an die Kinder, die sie eines Tages in den Schlaf singen würden. Die leisen Noten erhoben sich klar und sanft in den dunklen Himmel, trieben davon, um sich mit den Sternen zu vereinen. Dieses Lied benötigte nicht die Begleitung durch einen Trommler. Flax sang allein, wobei seine hohe Stimme zur Geltung kam, sodass es auch eine Frau hätte sein können, die da sang. Ash kam es fast so vor, als höre er eine Begleitmusik, irgendein unmögliches Instrument, das zugleich hoch und niedrig spielen konnte und hinter und vor jeder Note mitschwang. Er war sich nicht sicher, ob die Musik in seinem eigenen Kopf war oder eine Art Echo von den Wänden des Gasthofs. Auch wenn es wunderschön war, brachte das letzte, leise Lied kaum jemals Münzen ein. Dafür brachte es zuweilen anderes ein, nämlich ein Mädchen, mit dem man die Nacht verbringen konnte, oder einen Platz im Stall des Gasthofs.
Als er fertig war, blieb Flax stehen und wartete. Schmunzelnd erkannte Ash, dass er darauf wartete, dass Zel zu ihm herüberkam und ihm sagte, was er zu tun habe. Stattdessen tat dies die Wirtin, indem sie ihnen beiden Ale brachte.
»Führt eure Pferde um das Haus herum und stellt sie in den Stall«, sagte sie freundlich, während sie Ash die Krüge reichte. »Aber kein Licht
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