Die Hueterin der Geheimnisse
Sachen angezogen hatte und ihre Pferde in den Ställen der Herberge gut versorgt worden waren, ging Bramble eine ganz normal aussehende Straße entlang, um der Quelle der Geheimnisse einen Besuch abzustatten. Weder wartete sie vor der Tür, noch klopfte sie an. Wenn diese Safred eine Prophetin war, dann würde sie sie erwarten.
Als sie die große Flügeltür aufdrückte, wurden sie von einem hochaufgeschossenen, gut aussehenden älteren Mann in Empfang genommen.
»Aha, du bist auf den Beinen!«, sagte er. »Gut, gut.«
Es war sonderbar, jemandem zu begegnen, der sie offenkundig kannte, an den sie selbst jedoch keinerlei Erinnerung hatte. Bramble zwang sich zu einem Lächeln. »Danke für deine Hilfe.«
Er machte eine beschwichtigende Geste und trat von der Tür zurück. »Kommt herein, kommt herein. Ich bin Cael, Safreds Onkel. Sie erwarten euch.«
An einem Tisch saßen zwei Frauen und ein etwa fünfzehn Jahre alter Junge. Die jüngere der Frauen, eher ein Mädchen noch, hatte die dunkle, hagere Gestalt der Wanderer und den biegsamen Körper einer Akrobatin oder Tänzerin. Sie saß auf dem Stuhl, die Beine angezogen, und schlang die Arme um die Knie. Sie erinnerte Bramble an Osyth, obwohl diese niemals so lässig dagesessen hätte. Es schien ewig her zu sein, dass sie in Pless für Osyths Mann Gorham, den Pferdezauberer, gearbeitet hatte.
Der Junge hatte hellbraunes Haar und war sehr groß, wobei ihn das schnelle Wachstum der Jugend schlaksig wirken ließ.
Dann war da noch die andere Frau. Rothaarig, älter als sie selbst, etwa vierzig, stämmig, aber nicht fett. Bramble zwang sich dazu, Safred in die Augen zu schauen. Es war seltsam. Sie hatte erwartet, etwas Merkwürdiges, Fremdes zu sehen, doch stattdessen sah sie jemanden, der ihr ganz ähnlich war.
Eine normale Frau, aber eben doch eine, die von den Göttern auserkoren worden war und die ein Schicksal ertrug, um das sie nicht gebeten hatte. Ihre Mundwinkel und die Falten um ihre Augen ließen Humor erkennen.
Bramble war nicht nach Humor zu Mute. »Meine Schwester ist tot«, sagte sie. »Wer hat sie umgebracht?«
Überrascht setzte sich Safred auf. »Woher weißt du …«, fing sie an.
Bramble schnitt ihr das Wort ab. »Spielt keine Rolle, woher ich es weiß. Wer hat sie getötet?«
Die Neugier ließ Safreds Züge schärfer werden und wissensdurstig wirken. »Sag mir, woher du es weißt«, sagte sie wieder.
»Sag du mir, wer sie getötet hat.«
Die Quelle der Geheimnisse war es nicht gewohnt, dass sich ihr jemand widersetzte. Sie schluckte und rutschte mit verkniffenem Mund auf ihrem Stuhl zurück. »Er heißt Saker.«
»Saker?«, fragte Martine. Bramble hatte beinahe vergessen, dass sie und Ash auch anwesend waren.
»Das ist sein Name, ein Zauberer, der Geister erweckt. Saker, der den Namen eines Raubvogels trägt. Er befiehlt über einen Schwarm Falken. Vergangene Nacht hat er sie auf neue Opfer angesetzt. In Carlion.«
Martine und Ash sahen sie schockiert an.
»Geister?«, fragte Bramble. »Maryrose wurde nicht von Geistern getötet. Sie wurde fast in zwei Teile gehackt. So etwas können Geister nicht tun.«
»Diese schon.« Safred schaute Martine und Ash an. »Erzählt es ihr.«
Martine beschrieb den Angriff auf Spritford. Die Verstümmelungen, die Morde. Menschen waren in ihren Häusern und auf der Straße von Geistern niedergestreckt worden, die eine Waffe halten und sie gegen Lebende richten konnten. Sie waren eine unaufhaltsame Macht, da sie selbst nicht getötet werden konnten.
Der junge Mann und die Frau hörten entsetzt und gebannt
zu. Für den großen Mann, Cael, war es offensichtlich nichts Neues, er stellte lediglich Fragen über die Geister, wollte wissen, wie sie ausgesehen und wie sie gesprochen hatten. Bramble war überrascht, dass jemand im Stande sein konnte, Geister zum Reden zu bringen. Ash starrte daraufhin immerzu auf den Tisch, als sei er nicht stolz auf seine Fähigkeit.
Bramble setzte sich einen Moment hin, bevor Martine ihre Erzählung abschloss. »Was will er?«, fragte sie schließlich.
»Er will die Domänen«, sagte Safred.
»Warum?«
Safred nahm einen Krug Tee, schenkte daraus in Tassen ein und reichte diese herum. Sie bedeutete Bramble, Martine und Ash, sich zu setzen, und das taten diese auch.
»Wir wissen es nicht«, sagte sie widerwillig. »Noch nicht. Wir wissen nur, dass es sich bei den Geistern um jene handelt, denen ihr Land geraubt wurde und die immer noch wütend sind. Vielleicht holen sie
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