Die Hueterin der Geheimnisse
betreten hatte. Bis Turvite konnte er mitkommen, aber dann …
»Und was ist mit Trine?«, fragte er lächelnd. Dann machte er eine Pause. »Ich könnte bis Turvite mitkommen, wenn du glaubst, ich könnte euch von Nutzen sein.«
Sie rang mit sich. Die beiden Stimmen in ihrem Inneren waren im Konflikt miteinander. Die eine wollte nichts mit ihm zu tun haben. Die andere sehnte sich nach seiner Gesellschaft. Da meldete sich ihre seherische Fähigkeit und fegte alles Persönliche beiseite. Es war eine der stärksten Wahrnehmungen, die sie jemals gehabt hatte. Sie war so stark, dass ihre Hände anfingen zu zittern und der Fuchs, auf dem sie ritt, ein wenig ins Schlittern geriet. Sich auf dem Rücken eines Pferdes nach wie vor unsicher fühlend, klammerte sie sich an die Zügel.
»Ja«, sagte sie, während ihre Augen sich, ohne zu schauen, auf den Wasserlauf richteten, an dem sie gerade vorbeikamen. »Ja, wir werden Euch in Turvite brauchen. Wirklich brauchen.«
Er nickte stumm, ließ sich dann jedoch mit seinem Pferd zurückfallen, als hätte sie ihn irritiert. Eine Bitterkeit aus alten Zeiten drohte sie zu überwältigen. Ihre erste Liebe hatte sie verloren, weil der Mann ihre seherischen Fähigkeiten nicht akzeptieren konnte. Elvas Vater Cob hatte sich stattdessen Elvas Mutter zugewandt und mit ihr dann ein Baby gezeugt, das noch viel seltsamer war als Martine. Es war schon so lange her. Sie betrachtete Elva selten als etwas anderes als ihr eigenes Kind, doch ihrer beider Beziehung ging darauf zurück, dass ein Mann das ihm Unheimliche zweimal abgelehnt hatte, einmal in ihr und dann in seinem eigenen
Fleisch. Und dafür gab es keine Entschuldigung, denn er gehörte zu dem alten Blut. Dem ältesten Blut.
Sie schüttelte die Gedanken ab. Es wurde Zeit zu akzeptieren, dass kein Mann einer Seherin beiliegen wollte, weil sie sonst in seine Seele blicken und die kleinen schmutzigen Geheimnisse entdecken konnte, die sich im Herzen eines jeden menschlichen Wesens verbargen. Nun, diese Zurückweisung hatte ihr eine Tochter eingebracht und nun auch noch einen Enkel, also sollte sie Cob dankbar sein, statt es ihm übel zu nehmen.
Als sie anhielten, um zu Mittag zu essen und die Pferde zu tränken, hielt sie sich dennoch von Arvid fern. Es brachte nichts, auch noch darum zu betteln, gekränkt zu werden, oder mit ihrem Begehren gegen eine Wand zu laufen.
Am frühen Nachmittag kamen sie an einer langen Schlange von Ochsenkarren vorbei, welche den Weg entlangrumpelten, voller Waren, die mit Segeltuch abgedeckt waren. Dies war sicher die Handelsware, welche die Last Domain nach Mitchen verschiffen wollte. Eine Reihe von Arvids Männern bewachte sie, auch wenn sich Martine nicht vorstellen konnte, welche Art von Straßenräubern sie hier draußen angreifen sollte.
»Reitet weiter«, sagte Arvid. »Ich will nur kurz mal mit ihnen reden.«
Sie ritten an den Karren vorbei und erhoben dabei grüßend die Hand gegenüber den Kutschern, die zusammengekauert auf ihren Böcken saßen, um sich vor der Kälte zu schützen, und gelegentlich ihre Ochsen mit der Peitsche antrieben. Die Kutscher erwiderten stumm nickend ihren Gruß. Dabei starrten sie Safred, die sie offenkundig erkannt hatten, an. Martine fragte sich, wie oft Safred Arvid wohl in seiner Festung besucht hatte und warum. Nun, sicher mussten die Götter ihr einen Grund dafür gegeben haben, aber
der Umgang mit Kriegsherren kam ihr dennoch nach wie vor sonderbar vor. Es war befremdend, Kriegsherren und ihre Gefolgsleute so viele Jahre lang gemieden zu haben, nun aber zusammen mit ihnen zu reiten, Teil ihrer Gruppe zu sein und sich dabei so sicher zu fühlen, als befände sie sich unter Freunden.
Arvid beriet sich kurz mit dem Anführer der Handelsgesellschaft und schloss dann in kurzem Galopp wieder zu ihnen auf. »Sie werden morgen, vielleicht auch erst übermorgen, falls die Wagen wieder im Morast versinken, in Foreverfroze ankommen. Das passiert häufig zu dieser Jahreszeit. Im Winter, auf Schlitten ist es sogar einfacher, aber dann ist der Hafen durch Eis blockiert.«
Er sprach abwesend, als versuche er gedanklich, Geschwindigkeit und Ausdauer der Ochsen mit einem von ihm aufgestellten Zeitplan in Einklang zu bringen.
»Befassen sich alle Kriegsherren mit Handel?«, fragte ihn Martine, bemüht, eine normale Unterhaltung zu führen.
Er verzog das Gesicht. »Sie müssen es nicht. Sie haben die freien Städte, die den Handel für sie tätigen.«
»Und bei Euch gibt es
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