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Die Hueterin der Geheimnisse

Die Hueterin der Geheimnisse

Titel: Die Hueterin der Geheimnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pamela Freeman
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das blasse Licht gänzlich. Bramble blieb reglos stehen, ihr Kopf dicht unter den niedrigsten Ästen, verloren in einer raschelnden Dunkelheit, die sich im rauschenden Wind bewegte.
    Sie wollte von ihm wissen, wo sie waren, doch ihr war klar, dass dies eine törichte Frage gewesen wäre. Sie waren im Wald, standen unter einem alten Baum. Jede andere Antwort wäre die eines Menschen gewesen, eine, die der Jäger nicht geben konnte.
    »Komm«, sagte er. Er nahm sie am Arm und führte sie bis zum Baumstamm, eine Strecke, für die sie mehrere Minuten benötigten.
    Sie stellten sich zwischen riesige, sich windende Wurzeln, und der Jäger sagte: »Erinnerst du dich, wohin du gehen willst?«
    »Äh …« Bramble dachte darüber nach. Sie musste sich ihrer Sache ganz sicher sein. »Ich weiß, wie es dort in der Vergangenheit ausgesehen hat.«
    »Ahaaa«, sagte der Jäger und lauschte dem Wald. »Erinnerst du dich genau? Sag es dem Wald.«
    »Es ist eine Höhle«, sagte Bramble. »In den Western Mountains. Eine Höhle mit Zeichnungen auf den Wänden von ganz, ganz früher.«
    Der Jäger schnaubte. »Alle Zeiten sind lange her«, sagte er. »Doch zu einer Höhle können wir nicht reisen. Das ist die Domäne der Steinfresser. Dorthin kann ich dich nicht bringen.«
    »Aber …«

    Er ignorierte ihren Einwand. »Erinnerst du dich an etwas außerhalb der Höhle?«
    Die Erinnerung kam langsam zurück. Sie war in Reds Körper gewesen und hatte beobachtet, wie Acton die Anhöhe zur Höhle hinaufgeritten war. Hatte zugesehen, wie er zwischen den Bäumen verschwand. In einem Wald, der damals dort gewesen war, damals noch das ganze Land bedeckt hatte. Der Jäger zischte vor Genugtuung.
    »Aha. Du erinnerst dich. Der Wald erinnert sich. Er wird dich dorthin bringen. Die Reise wird viel Zeit und keine Zeit dauern.«
    »Wie das?«
    »Der Wald erinnert sich. Wir werden in deine Erinnerung reisen und dann zu deinem Moment zurückkehren, jenem Zeitpunkt, mit dem du so stark verbunden bist.«
    Bramble verstand etwas, aber nur ein wenig. Ich bin immer noch mitten in der Luft, dachte sie. Sofort verspürte sie die Hochstimmung, die sie auch bei Jagdrennen empfunden hatte. Als spüre auch er die Welle der Erregung, lächelte der Jäger, wobei scharfe Zähne sichtbar wurden.
    »Leg deine Hand an den Baum, Beute«, sagte er. »Seine Wurzeln reichen weit zurück. Sehr weit.«
    Bramble streckte die Hand aus und legte sie auf die zerfurchte Rinde. Genau wie in den Augenblicken kurz vor dem Start eines Jagdrennens waren all ihre Sinne geschärft. Sie spürte den leisen Windhauch auf ihrer Wange, hörte Eulen rufen und hoch oben einen Schwarm kleiner Vögel zwitschern. Die kleinen Singvögel zogen zu ihren sommerlichen Brutplätzen. Um den Falken zu entgehen, flogen sie bei Nacht; es waren Mönchsgrasmücken, Waldsänger, Schwalben. Es waren so viele, dass ihr Flügelschlag einen Windstoß in der Nachtluft hervorrief. Als die Eule von den oberen Ästen aufflog, um dem Schwarm zu folgen, spürte Bramble das
winzige Zittern im Baumstamm. War es möglich, dass sie dies wirklich wahrgenommen hatte? Um sie herum wimmelte und waberte es in der Nacht vor Leben. Sie roch etwas. War das Zedernholz? Es war ein schwerer, berauschender Geruch, der sie schwindelig werden ließ.
    »Mach einen Schritt nach vorn«, sagte der Jäger. Das tat sie, und nun war es helllichter Tag.
    Sie starrte den Jäger an. Er lehnte sich beiläufig an den Baumstamm, wobei seine feinen Knochen an ungewöhnlichen Stellen seltsam hervorragten. Sie hatte Recht gehabt, es war eine Art Zedernbaum, allerdings eine Sorte, die sie noch nie zuvor gesehen hatte. Ihr Instinkt mahnte sie, dem Jäger gegenüber nie eine Schwäche zuzugeben, daher verbarg sie ihre Desorientiertheit.
    »Ich dachte, Zedern benötigen ein warmes Klima zum Wachsen«, sagte sie.
    Der Jäger zuckte mit den Schultern. »Diese Sorte nicht.«
    Sie traten von dem Stamm zurück. Es hatte sich mehr verändert als nur das Licht. Der Baum war nun viel kleiner. Es war ein ganz junger Baum. Vielleicht hatte die Nacht ihn vorhin größer wirken lassen, doch Bramble war sich sicher, dass der Baum riesig gewesen war.
    »Wir sind in der Vergangenheit«, sagte sie.
    »Noch nicht in deiner Vergangenheit«, sagte der Jäger vorwurfsvoll, als habe sie etwas Dummes gesagt. »Zu dieser Erinnerung sind noch weitere Schritte nötig. Komm.«
    Er setzte sich in Bewegung und ging nun langsamer durch den Wald als zuvor. Fast schlenderte er. »Jetzt

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