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Die Hueterin der Geheimnisse

Die Hueterin der Geheimnisse

Titel: Die Hueterin der Geheimnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pamela Freeman
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fortgehen.«
    Muss ich nicht. Außer wegen der Finsternis und der Kälte und dem flackernden Schein von Gold am Rande des Sichtfelds, wie Wahnsinn, der auf einen lauert.
    Außer wegen der harten Plackerei, die Loren über die Grubenrampe zu ziehen. Außer wegen den hässlichen Baracken und dem Schmutz und dem Gestank. Außer weil ich zusehen muss, wie die jungen Schieber sich die Seele aus dem Leib ziehen und man ihnen nicht helfen kann.
    Außer wegen den Mädchen im Tal. Und wegen den Mädchen
in der Welt jenseits des Tales. Und wegen der Vorstellung, eines Tages Kinder zu haben. Kinder, die man lieben kann. Umsorgen. Nicht schlagen und nicht in Schrecken versetzen. Und nie, nie verkaufen.

    Neun Monate können einem länger vorkommen als die ganzen Jahre vorher zusammen. Und kürzer als ein einziger Tag.
    Als es nur noch drei Tage sind, versucht Sami, ein Anwerbegespräch zu führen. »Du bist ein guter Hauer, Medric. Du hast eine Gabe dafür.« Das stimmt. »Wie wäre es, wenn du hierbleibst? Fursey wird da oben bald ein eigenes Haus haben. Ihr beide könntet ein gutes Leben führen.«
    Er hat Angst, dass Fursey die Grube verlassen könnte. Das kann er sich nicht leisten.
    »So schlecht ist das Leben hier nicht, wenn man kein Gekaufter ist«, sagt er in vertraulichem Ton und beugt sich dabei dicht zu mir herunter. »Die Mädchen im Tal mögen freie Hauer.« Er zwinkert mir zu, besinnt sich dann jedoch, als er Furseys Gesicht sieht, eines Besseren. »Aber du brauchst ja eigentlich nirgendwohin zu gehen. Könntest ein schönes eigenes Haus, gutes Essen, gute Gesellschaft haben. Viele Männer draußen in der Welt würden sich den rechten Arm abhacken, um so ein Leben führen zu können.« Er kichert. »Natürlich wären sie uns dann nicht mehr von Nutzen!« Er lässt die Hand fallen, mit der er mir eigentlich freundlich auf den Rücken klopfen wollte, aber er ist ein kräftiger Mann wie mein Papa, und es tut weh.
    »Geh nicht«, sagt Fursey, als Sami weg ist. Zum ersten Mal spricht er es direkt aus.
    »Ich halte die Dunkelheit nicht länger aus als nötig, Fursey. Ich bin nicht wie du. Ich habe sie nie geliebt. Da draußen ist eine ganze Welt. Willst du sie denn gar nicht entdecken?«

    Er schüttelt den Kopf. »Und die Mädchen aus dem Tal?«, fragt er bitter.
    »Oh, bei den Göttern, Fursey, die will ich genauso wenig wie du auch. Aber willst du denn keine Familie gründen? Ein richtiges Zuhause haben?«
    Mit Tränen in den Augen schaut er zu mir auf. »Du bist meine Familie. Du und das Gold.«
    »Na ja, das Gold hast du dann ja immer noch. Ich hoffe, du genießt es.«
    Vielleicht war das nicht nett. Aber er redet immer so, als wäre Gold menschlich. Als hätte es Gefühle.

    Am letzten Tag bleibt er noch an der Felswand, nachdem die Grubenpfeife schon ertönt ist und die anderen Hauer weg sind. Keiner wird ihn stören. Sie lassen ihn unter vier Augen Abschied nehmen.
    »Geh nicht, Medric«, sagt er.
    »Ich muss.«
    »Nein, du musst nicht. Du kannst es dir noch anders überlegen und hierbleiben, wo du hingehörst. Bei mir.«
    Seine Augen sind so schwarz wie immer hier unten, aber sie glänzen auch golden. Es ist ein starkes goldenes Flimmern. Mir fällt Navs Warnung vom ersten Tag wieder ein. »Er vergisst nie etwas und er vergibt auch nie etwas.«
    Das Wort Liebe fällt in der Grube nie, und nun ist es sowieso zu spät, dies anzusprechen. Aber es ist so. Auch wenn er sich verhält wie ein Wahnsinniger.
    »Ich bin nur deinetwegen in dieser Welt geblieben«, sagt er. »Ich wollte nie hoch ans Licht. Das weißt du. Ich bin deinetwegen hochgegangen.«
    »Ich weiß, aber …«
    »Ich gehe nie wieder nach oben. Nicht ohne dich. Ich bleibe hier unten.« Er zieht den Pickel hoch, beiläufig, wie Hauer
es tun, und plötzlich werde ich der Muskeln in seinen Schultern und Armen gewahr, der breiten Brust eines Hauers. Der Pickel kann Felsen hauen - durch Blut und Knochen würde er glatt hindurchfahren. Wer weiß, was er als Nächstes vorhat, doch man muss ihn daran hindern.
    »Du wirst das Gold nicht länger befreien können. Was wird es ohne dich tun?« Es ist ein verzweifeltes, dummes Argument, aber es bringt ihn dazu, die Stirn in Falten zu legen und nachzudenken.
    Er stellt sich in den Tunneleingang und lächelt. Sein helles Haar glänzt im Schein des Kerzenlichts wie Gold. Das einzig Warme auf der Welt.
    »Die Grube wird weiter bestehen«, sagt er. »Ohne mich wird es ein wenig langsamer vorangehen, das ist alles. Aber

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