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Die Hueterin der Geheimnisse

Die Hueterin der Geheimnisse

Titel: Die Hueterin der Geheimnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pamela Freeman
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ihren Handflächen zu ruhen schienen; sie spürte, wie sie und die Welt in völligen Einklang miteinander kamen; sie schien auf der Anhöhe zu schweben, als ritte sie auf einem großen Tier, einem der gewaltigen Stiere der Eisriesen oder einer Seeschlange und wäre eine Heldin aus einer der Legenden ihres Volkes; Mim oder der Kühne oder die alte Dotta selbst, die Bewahrerin des Feuers.
    Zum ersten Mal, seit das Feuer getost und sie zurückgewiesen hatte, war sie wieder sie selbst. Unversehrt. Gelassen. Wieder dort, wo sie sein sollte. Sie entspannte sich, und ihre Atmung wurde langsamer, während die Sonne aus ihrer Hand verschwand und der Mond langsam emporglitt und auf der Meeresoberfläche einen hell leuchtenden Pfad wies. Martine ließ die Arme sinken.
    Arvids Schritte hinter ihr überraschten sie nicht. Sie lächelte sogar ein wenig, da sie damit gerechnet hatte. Jetzt, da das Feuer sie entlassen hatte, konnte sie Arvid wieder entgegentreten wie jedem anderen Mann.
    Dann erreichte er die Spitze der Anhöhe, und sie begegnete seinem Blick.

Ash
    Jungen durften erst dann das Risiko eingehen, ihre wahre Gestalt kennen zu lernen, wenn sie ihre volle Körpergröße erreicht hatten. Der Gedanke, dass er selbst nun erwachsen und stark genug war, diese Gefahr auf sich zu nehmen, verschaffte Ash am dritten Abend seiner Fastenzeit ein wenig Trost, während er zusah, wie Flax sich unsicher auf dem Vorplatz der großen Höhle auszog.
    Sie sprangen über den Abgrund und setzten dann ihren Weg in die innere Höhle fort. Diese war wesentlich kleiner als die erste und wurde nur von den Glühwürmchen und dem schummrigen, zuckenden Licht, das aus der ersten Höhle drang, erhellt. Ein kleiner Wasserlauf quoll aus einer Felsspalte und floss über den Boden der Höhle, wo sich ein kleines Wasserbecken gebildet hatte. Durch eine weitere Felsspalte am anderen Ende der Höhle floss das Wasser hinaus und stürzte in den Fluss hinab. Der Hirsch und das Eichhörnchen nahmen Flax an den Armen und brachten ihn dazu, sich so in das Becken zu legen, dass sein Gesicht dicht über der Wasseroberfläche war. Augenblicklich fing er an, mit den Zähnen zu klappern. Ash erinnerte sich daran, wie diese plötzliche Kühle des eisigen Wassers auf seiner Haut gebrannt hatte.
    »Dies ist die dritte Prüfung«, sagte Ash. »Bleib ruhig liegen und vertrau dem Fluss. Lausche ihrer Stimme. Erfahre
sie. Liebe sie. Wenn du ihr vertraust, wird dir nichts geschehen.«
    Mehr konnte er für Flax nicht tun. Ihm war dasselbe gesagt worden, als er zum ersten Mal hergekommen war, und zwar von einem älteren Jungen, der seine wahre Gestalt noch nicht kennen gelernt hatte. Nun lag es an Flax. Ash ging auf den nächsten Gang zu, wo sein Vater ihn erwartete.
    »Wohin gehst du?« In Flax’ Stimme schwang Panik mit.
    »Nicht weit«, sagte Ash. »Aber du musst dem Fluss allein begegnen.«
    Flax starrte ihn an. In dem Halbdunkel konnte Ash ihn kaum erkennen, doch er hörte seinen Atem, der schnell und flach ging.
    »Vertrau ihr«, sagte er sanft. »Aber trink nirgendwo in der Tiefe Wasser, bevor du nicht die Erlaubnis dazu bekommen hast.«
    Er folgte seinem Vater den Gang entlang und ließ den Großteil der Männer mit Flax zurück. Ein Wolf und ein Fuchs folgten ihnen: Vine und Skink. Ashs Aufregung stieg, und mit ihr stellte sich eine Vorahnung ein. War dies der Abend, an dem er seine wahre Gestalt finden würde? Außerhalb der Tiefe dachte man nicht über die Tiefe nach, aber am Träumen konnte man sich nicht hindern. Nach seinen ersten Besuchen hier hatte er immer wieder davon geträumt, ganz er selbst zu sein, sein animalisches Ich zu finden. In seinen Träumen hatte er Gestalten angenommen von grandios, wie die einer Wildkatze oder eines Bärs, über lächerlich, wie Maulwurf, Wasserratte oder Spitzmaus bis hin zu verstörend. Ein Wiesel wollte er nicht sein. Nein wirklich, das wollte er nicht.
    Sie führten ihn noch tiefer hinein, durch dunkle Höhlen ohne ein einziges grünes Farbpünktchen, durch Gänge, deren Böden uneben waren, immer tiefer und weiter hinab, bis
sie schließlich an eine Stelle kamen, an der ein kleines Feuer brannte.
    Sie befanden sich auf einer breiten Plattform, an deren einem Ende eine steil abfallende Schlucht war. Dahinter lag Finsternis. Es war nicht zu ermessen, wie groß der Hohlraum war, doch das laute Tosen des Flusses hallte von den Wänden wider. An einer Seite befand sich ein großes Wasserbecken, auf dessen makellos regloser

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