Die Hueterin der Geheimnisse
noch die schwärzeste Nacht voller Licht. Furseys Kopf schimmert darin. Nun wären wir ungestört, aber Fursey meint, wir sollten lieber warten, bis die anderen schlafen.
Sie wissen es ohnehin. Alle Jungen, die sich das Bett teilen, teilen sich auch Vergnügungen. Welches gäbe es denn sonst? Wo sonst ist Wärme zu haben? Doch so ist Fursey eben, geheimnistuerisch und eigenbrötlerisch.
»Außer mit dir, Medric. Vor dir würde ich nie etwas geheim halten.«
Als Fursey schließlich Hauer wird, Monate nach den anderen Sechzehnjährigen, sind alle erleichtert, sogar Sami. Fursey verhält sich seit zwei Monaten wie ein angeketteter Bär, mürrisch und gefährlich.
»Wenn Medric anfängt zu hauen, kann ich es auch«, hatte er vorgebracht. »Ich arbeite hier schon länger als jeder andere. Du weißt, dass ich die Grube kenne wie kein anderer. Ich kann eine Ader besser anschlagen als du!«
Aber Sami blieb standhaft. Niemand wird Hauer, bevor er nicht die Größenmarkierung am Kücheneingang erreicht hat. Nicht einmal Fursey, ganz gleich wie er streiten und fluchen mag.
An seinem ersten Tag rennt Fursey schnurstracks bis zur Felswand hinunter, lachend und seine Hacke schwingend. Er sucht sich, den Vorarbeiter ignorierend, eine völlig andere Stelle der Wand aus, um sie zu bearbeiten.
»Hier, Medric«, ruft er. »Hier ist die Ader am dicksten.« Er redet mit dem Felsen. »Ich kann dich hören«, sagt er. »Ich komme, um dich zu bergen. Fall links von mir herunter«, sagt er. Dann schwingt er die Hacke, als hätte er dies schon
sein ganzes Leben lang getan. Der Pickel kommt auf dem Felsen auf, und ein ganzes Teilstück fällt ab, zu seiner Linken. So wie es nur die besten und geschicktesten Hauer nach jahrelanger Übung hinbekommen.
Darunter wird pures Gold sichtbar. Eine dicke Ader, im schwachen Lichtschein der Kerze so hell funkelnd, dass es aussieht wie flüssig geschmolzen, glühend. Stumm versammeln sich die Hauer um ihn. Selbst die gekauften, die es sich nicht ausgesucht haben, hier zu sein, selbst sie seufzen leise, als sie den Schimmer anschauen. Fursey streckt die Hand aus und verfolgt die breite Ader die Wand hinab.
»Hallo«, sagt er.
So sieht es aus. Fursey entscheidet, wo wir hauen. Jedes Mal spricht er zu dem Felsen, sagt ihm, wohin er fallen, wie er zersplittern soll. Und das tut dieser dann auch. Die geförderte Goldmenge verdreifacht sich. Fursey ist Samis Liebling. Er bekommt neue Kleider, das beste Essen. Keiner hat etwas dagegen, weil Fursey allen sagt, wo sie ihren Pickel ansetzen müssen, und mit der Felswand spricht, sodass niemand mehr stirbt. Kein Tunnel bricht mehr zusammen.
Nachts liegt er da, starrt an die Decke und lächelt.
Die anderen Hauer in der Baracke erzählen einander flüsternd von den Mädchen unten im Tal, flüstern, berühren sich und stöhnen. Sie unterhalten sich darüber, was sie tun wollen, wenn sie ihren Dienst abgeleistet haben. Wohin sie dann gehen wollen. Sandalwood. Carlion. Foreverfroze. Wen sie bumsen werden und wie. Dann berühren sie sich wieder.
Fursey redet von Gold und berührt sich dann selbst.
»Gold und dich, Medric. Was brauche ich sonst noch?«
Nur noch drei Monate, dann sind die sieben Jahre vorbei. Fursey wurde für vierzehn Jahre gekauft. Er hat noch neun Monate vor sich.
»Die neun Monate werde ich noch mit dir arbeiten, Fursey. Dann können wir zusammen hier weg.« Das ist eine kleine Hoffnung, die nicht wirklich eine Chance hat.
»Weg?«, fragt er verständnislos.
»Mein Dienst ist in drei Monaten zu Ende. Deiner in neun. Ich arbeite noch sechs Monate länger hier mit dir, um mir ein bisschen Taschengeld zu verdienen. Dann können wir gemeinsam gehen.«
Er starrt mich an. » Gehen ?«
Natürlich hat er Recht. Für ihn wäre es verrückt, hier wegzugehen. Sobald sein Dienst abgeleistet ist, wird Sami ihn zum dreifachen Gehalt eines Hauers wieder einstellen. Und er wäre noch das Doppelte davon wert. Er könnte sich ein Haus im Tal anschaffen und ein gutes Leben führen, in dem er das tut, was er liebt. Warum sollte er hier weg?
»Ich bin nicht freiwillig hergekommen, Fursey. Ich habe eine Familie, einen Platz, wo ich hingehen kann.«
»Dein eigener Papa hat dich verkauft!«
»Nicht zu meinem Papa. Den würde ich nicht einmal anspucken. Aber ich habe noch zwei Schwestern. Zu denen will ich, um mich zu vergewissern, dass es ihnen gut geht.«
Er beruhigt sich. »Na, dann tu das und komm danach zurück. Du musst ja nicht für immer
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