Die Hueterin der Geheimnisse
starrte ihn mit funkelnden Augen und leichenblassem Gesicht an. Schließlich aber nickte sie, und der Druck in Brambles Kopf ließ nach. Bramble sah, welche Anstrengung es Safred kostete, nicht nachzufragen. Sie wartete darauf, dass Safred eine letzte Ermahnung oder Segnung aussprechen würde, doch diese trat lediglich vom Altar zurück und ging, ihm den Rücken zugewandt, davon. Dies verunsicherte Bramble, die sich aus Respekt und Vorsicht stets mit dem Gesicht zum Altar gewendet entfernte. Sie hatte den Eindruck, als seien für Safred die Götter selbstverständlich, und so etwas war nicht ungefährlich. Sie zuckte mit den Achseln. Es ging sie nichts an. Sie musste sich wegen der Reise um die Pferde kümmern.
Sie kehrten in die Stadt zurück, und Bramble ging direkt in die Ställe statt mit den anderen in Safreds Haus. Sie führte die Pferde um Safreds Haus und versuchte, nicht darüber nachzudenken, dass sie von Cam und Mud getrennt werden würde. Sie hatte keine andere Wahl. Währenddessen nahm sie sich jedoch ein paar Minuten Zeit, um zu ihnen zu sprechen und ihnen zu sagen, dass sie sich bald, schon bald wiedersehen würden. Trine wurde eifersüchtig und stieß mit dem Kopf gegen Brambles Seite. Instinktiv wappnete diese sich gegen einen stechenden Schmerz in ihrem Arm, doch natürlich durchfuhr sie keiner. Ihre Wunde war geheilt. Ob
sie sich jemals daran würde gewöhnen können, wusste sie nicht.
Bramble hatte von Heron Vorräte für eine mehrtägige Reise erworben und gegen die Einwände von Ash und Martine auch darauf bestanden, für das Zimmer zu bezahlen. »Das ist das Mindeste, was ich tun kann«, sagte sie. Sie hatte es noch nie ausstehen können, bei jemandem in der Schuld zu stehen, und nur das Wissen, dass die Götter Ash und Martine zur rechten Zeit zu ihr geschickt hatten, machte es ihr möglich, die Dankbarkeit zu ertragen, die sie ihnen schuldete. Sie grinste Ash an. Er ging noch immer steifbeinig von dem langen Ritt. Es erinnerte sie daran, wie sehr es schmerzte, Reiten zu lernen.
»Meinst du, du schaffst noch einen weiteren Ritt?«
Er schaute Cam zweifelnd an. »Wenn es sein muss«, sagte er und lachte dann mit ihr. In dem Lachen lag allerdings auch Unsicherheit, als versuche er mit aller Gewalt, einen unbeschwerten Eindruck zu erwecken. Bramble merkte, dass sie ein wenig Fürsorge für ihn empfand, was dumm war angesichts der Tatsache, dass er es gewesen war, der ihr das Leben gerettet hatte. Zel holte einen Rucksack aus dem Haus und stellte ihn neben dem Türrahmen ab.
»Wieder eine Reise«, sagte Martine. »Vielleicht hat Acton ja Recht daran getan, als er uns auf die Straße geschickt hat. Es scheint, als kämen wir nicht los von ihr, so sehr wir uns auch bemühen.«
»Keine Rast für Wanderer«, sagte Ash. »Nicht auf dieser Seite des Grabes.«
»Dann müssen wir wohl Wanderer sein«, sagte Martine trocken. Zel ging noch einmal ins Haus, um weiteres Gepäck zu holen, und ließ die Tür hinter sich offen. Leise sagte Martine zu Ash: »Ich habe die Steine noch einmal geworfen, und sie haben wieder dasselbe gesagt.«
Einen Moment lang rührte er sich nicht. Dann zuckte er mit den Achseln. »Das ändert auch nichts.«
»Es könnte sein, dass du andere …«
Ash schnitt ihr das Wort ab. »Vergiss es. Ich kann es nicht, und damit hat es sich.«
Bramble beschäftigte sich damit, den Sitz der Sattelgurte an den Pferden zu überprüfen. Das hier ging sie nichts an. Jeder hatte das Recht auf seine eigenen Geheimnisse. Doch sie bemerkte den Kummer im Gesichtsausdruck der beiden, mochten sie auch versuchen, ihn mit jener ausdruckslosen Miene zu verbergen, die so viele Wanderer trugen. Ein alles verbergendes Gesicht, das nichts verriet.
Safreds leise murmelnde Stimme drang zu ihnen. Dann war das Geräusch eines hemmungslos schluchzenden Mannes zu vernehmen. Zweifellos einer der Pilger. Bramble war unbehaglich zu Mute, was diesen Teil von Safreds Macht anging. Fleischwunden zu heilen war schon außergewöhnlich genug. Den Geist zu heilen … So verletzlich vor jemandem zu sein, der letzten Endes auch nur ein Mensch war … Obwohl sie selbst einmal vorgehabt hatte, die Quelle der Geheimnisse wegen genau dieser Art Heilung aufzusuchen, erschien ihr dies nun unvorstellbar. Auf keinen Fall würde sie vor Safred ihre Seele entblößen.
Wieder war Safreds Stimme zu vernehmen. Martine, Ash und Bramble warfen sich verstohlen Blicke zu. Nach einer Weile verklang das Schluchzen, und Safred erschien
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