Die Hueterin der Geheimnisse
Kommentars. Sie merkte, dass sie ihn mochte. Er erinnerte sie ein wenig an ihren Onkel, den Bruder ihres Vaters, der Stuhlmacher und Holzschnitzer war. Oft hatte sie ihn in ihrer Kindheit nicht gesehen, da er in Whitehaven lebte, wo es einen größeren Markt für die anspruchsvollen und kostspieligeren Schnitzarbeiten gab, die er liebte. Sie hatte sich immer sehr über seine Besuche gefreut. Er war weitaus herzlicher und unbeschwerter als ihre Eltern und akzeptierte Brambles tägliche Erkundigungen der Wälder mehr als alle anderen Erwachsenen, die sie kannte. Cael besaß die gleiche positive Einstellung zum Leben, die gleiche gutmütige Leichtigkeit und Freude. Doch weder ihr Onkel noch Cael waren deswegen Narren.
Bald wich das Ackerland einer Buschvegetation und Heide und schließlich kargem Waldland, zumeist Birke, Buche und Fichte. Es war deutlich zu sehen, dass die Bäume von den Stadtbewohnern geschlagen wurden. Es gab noch Baumstümpfe
und geschlagenes Holz sowie gerodete Stellen, auf denen Schösslinge hervorsprossen und Überreste von Feuerstellen der Köhler zu sehen waren.
Die Straße wurde von Hecken begrenzt, von blühendem Rotdorn und wilden Rosen, die ihre dornigen Zweige ausstreckten und sie dazu zwangen, einzeln hintereinander zu reiten. Zel ritt voran, gefolgt von Safred. Gorham musste Zel schon auf ein Pferd gesetzt haben, bevor sie laufen konnte, denn sie ritt, als sei sie mit dem Tier verwachsen. Safred ritt recht gut, wie Bramble bemerkte, stieg jedoch unbeholfen auf und ritt mit Zügel und Sattel, was Bramble irgendwie überraschte. Sie selbst ritt Trine, da sie diese niemand anderem anvertrauen wollte, und benutzte wie üblich kein Gebiss. Trines Sattel hatte sie Ash gegeben, der auf Mud ritt. Sie selbst ritt Trine nur mit Decke und Satteltaschen. Es waren die Taschen, die Merrick ihr geschenkt hatte. Kummer überkam sie bei der Erinnerung und verursachte ihr solche Schmerzen in der Brust, als würde ihr Herz zusammengepresst. Sie zwang sich, ihre Aufmerksamkeit auf den Weg zu richten. Vor ihnen stand eine Reihe dunklerer Bäume. Um was für Bäume es sich handelte, konnte Bramble nicht erkennen - Kiefer, Lärche oder Eiche, vielleicht waren es auch Ulmen. Sie hatten keine bestimmte Farbe Grün, es war nur eine Mauer der Dunkelheit, die größer wurde, je näher sie kamen.
Als sie eine Abzweigung erreichten, an dem eine wesentlich größere Straße nach Nordwesten führte, stieg Safred ab, und die anderen folgten ihrem Beispiel und blieben neben ihren Pferden stehen. Dankbar streckten Martine und Cael ihre steifen Beine aus.
»Vor uns befindet sich der Große Wald«, sagte Safred. Dann legte sie eine Pause ein, nahm ihren Hut ab und strich dessen Krempe glatt, ohne dabei hinzuschauen. »Ich denke,
wenn wir am Altar sind, befinden wir uns in Sicherheit. Bis dahin seid vorsichtig. Kommt nicht vom Weg ab.«
»So heißt es auch immer in den alten Erzählungen«, sagte Bramble unwillkürlich. »In den alten Märchen von Kindern, die sich im Wald verirren, heißt es immer: ›Kommt nicht vom Weg ab‹, und immer kommt das Kind vom Weg ab.«
»Ja«, sagte Safred. »Denkt daran, was ihnen passiert, wenn sie es tun.«
Sie ritten weiter.
Der Große Wald begann ganz unvermittelt. Sie kamen an einem kleinen, von dichten, noch nicht in Blüte stehenden Schneeballbüschen bedeckten Hang vorbei. Die gräulichen Äste und rauen Blätter verwehrten ihnen fast das Durchkommen, doch Cael bahnte ihnen einen Weg, und plötzlich befanden sie sich inmitten von Kiefern. Riesigen, hoch aufragenden, hässlichen Kiefern. Er war ein wenig so wie der Wald nahe dem See, aber bedeutender .
Bramble bekam den Eindruck, dass nicht die Bäume gewaltige Ausmaße hatten, sondern dass sie und die anderen auf die Größe von Kindern geschrumpft oder sogar noch kleiner waren. Als seien sie Spielzeuge, die vorgaben, die Größe von Menschen zu haben, wie Puppen, mit denen Maryrose immer gespielt hatte. Spielte hier jemand oder etwas mit ihnen? Und um was ging es bei diesem Spiel?
Unter den hohen, miteinander verflochtenen Ästen ritten sie in eine Finsternis hinein, die schwer auf ihnen lastete. Der Boden war mit einem so dicken Teppich aus braunen Kiefernnadeln bedeckt, dass die Hufe der Pferde keinerlei Geräusche verursachten und Bramble zum ersten Mal froh über das Klirren der Gebisse und des Zaumzeugs der anderen Pferde war. Hoch über ihnen breiteten sich in den Kronen der Bäume stellenweise orangefarbene Flechten
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