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Die Hueterin der Geheimnisse

Die Hueterin der Geheimnisse

Titel: Die Hueterin der Geheimnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pamela Freeman
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wie es zu Beginn eines Jagdrennens immer gewesen war. Sie ging voran. Sie war Gorham dankbar dafür, dass er sie dazu veranlasst hatte, schwere Stiefel zu tragen, denn sonst hätte sie sich beim ersten Schritt auf den Rand die Füße bis auf die Knochen eingeschnitten. Sie kämpfte um ihr Gleichgewicht und trat dann auf den nächsten Felsrand. Falls sie stürzte, würde sie sterben. Dessen war sie sich sicher. Eine Sicherheit jenseits von Worten oder Vernunft. Die Götter bestätigten es ihr: Geh achtsam , sagten sie. Komm zu uns .
    Jeder Schritt erwies sich als heikel und zunehmend schwieriger, da das Licht verblasste. Nach ein paar Schritten schaute sie sich um. Safred und Martine balancierten auf den Felskanten hinter ihr; das erinnerte Bramble an die Legende der Wind City, an die Meerjungfrau, die über das Wasser ging. Die Meerjungfrau war ein böser Geist und den Menschen nicht freundlich gesinnt. Bramble schüttelte den Gedanken ab und fand allmählich Gefallen daran. Sie genoss nun jeden Moment, an dem ihr Fuß die nächste Trittstelle fand, genoss die rasche Erregung, wenn sie ihr Gleichgewicht
hüpfend verlagerte, bewegte sich sicher und behielt ihr Gleichgewicht. Das Wasser in ihren Stiefeln war kalt, und ihre Füße wurden allmählich taub.
    Als sie die Hälfte des Wegs zurückgelegt hatten, trat der Mond hinter den Wolken hervor, und der See verwandelte sich in eine Schüssel aus Silber, die sie alle umgab. Der Wald dahinter wirkte wie eine dunkle Wand. Es sah für sie so aus, als würde sich das Wasser wölben, als läge die Insel auf dem Grund einer Schüssel. Es fühlte sich gefährlich an, und Bramble war froh darüber. Das Gefühl, in Gefahr zu schweben, verschaffte ihr Erleichterung beim Trauern.
    Sie war nun noch drei Schritte von der Insel entfernt, dann zwei, einen … Sie trat auf die dunklere Oberfläche der Insel und erwartete, Erde und Gras zu berühren. Stattdessen rutschten ihre Füße unter ihr weg, und sie fiel hin. Die Insel bestand aus demselben glatten, dunkelgrünen Glas wie der Rand des Sees. Bramble schaute zum Altar auf; er bildete eine Einheit mit der Felsfläche, auf der sie ausgeglitten war, sodass unklar war, wo die Fläche endete und wo der Altar begann. Dies fühlte sich unheilvoll an. Irgendwie nicht richtig. Sie rappelte sich hoch und verschaffte sich sicheren Halt. Dann half sie Safred und Martine, sicher auf die Insel zu gelangen.
    Sie wollte auf den Altar zugehen, doch Safred hielt sie am Arm fest.
    »Ich weiß nicht, was geschehen wird«, sagte sie mit leiser Stimme. »Du wirst die Vergangenheit sehen, sagen die Götter, aber wie, sagen sie nicht.«
    Bramble zuckte mit den Schultern. »Ich schätze mal, ich werde es noch früh genug herausfinden.«
    Safred lächelte verkniffen und bedeutete ihr, zum Altar zu gehen. Dieser war brusthoch, größer als irgendein anderer, den Bramble je gesehen hatte. Während sie sich ihm näherte, regte sich in ihr ein weiteres vertrautes Gefühl. Die Götter
warteten. Der Druck in ihrem Kopf war da, wie es immer an einem Altar der Fall war; das aufgestellte Nackenhaar; der Schauer unter der Haut, der ihr über den Rücken lief. Das Atmen fiel ihr schwer, es war, als müsse sie unter Wasser atmen. Bevor sie ihre Hand auf den Felsen legen konnte, stieg Nebel vom Altar auf.
    Kleine Fetzen zunächst. Dann verdichteten sie sich, wirbelten zu einer Säule auf, die flacher wurde und dann wie eine Kuppel über ihnen hing. Schließlich sank der Nebel auch noch auf das Wasser herunter und bewegte sich in Richtung des Waldes, sodass ihr Blick zum Himmel versperrt wurde und auch das Land nicht mehr zu sehen war. Sie waren in einer glänzenden, vom Mond erhellten Wolke eingeschlossen. Als die Nebeltröpfchen sich auf ihrer Haut niederließen, fröstelte Bramble.
    Die Dunstglocke war unheilvoll, daran bestand kein Zweifel, doch die Götter waren da, deutlich spürbar in ihrem Kopf, und sie ahnte, dass der Nebel zu ihrem Schutz da war. Sie wusste bloß nicht, wovor er sie schützen sollte. Sie hörten den Wind im Wald und die Wellen auf dem See, aber innerhalb der Dunstglocke erklang alles gedämpft. Allmählich lichtete sich die Dunstglocke, und der Altar war wieder zu sehen. Trotz des Nebels hatten sich keine Tautropfen auf ihm gebildet. Bramble streckte die Hand aus und legte sie auf den Altar.
    »Martine«, sagte Safred leise. Safred hatte den für sie typischen Gesichtsausdruck angenommen, mit dem sie der Stimme der Götter lauschte. Auch

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