Die Hueterin der Geheimnisse
Thegan fand. Bestenfalls konnte er verhindern, dass die Stadt geplündert wurde. Es gab eine Menge Geschichten über die Plünderung von Städten bei früheren Kriegen zwischen den Domänen - Leof wollte kein Teil einer solchen werden.
Er wandte sich Thegans Zelt zu. Die morgendliche Dämmerung war für gewöhnlich eine gute Zeit, um Thegan allein anzutreffen.
Als Leof eintrat, schaute Thegan von einem Stapel Papiere auf und lächelte ihn an.
»Genau der Mann, den ich brauche«, sagte er. »Ich will eine genaue Liste mit den Namen derer, die wir verloren haben, damit die Familien benachrichtigt werden können. Du kennst doch die meisten der Männer, nicht wahr, sogar die aus der Central Domain?«
»Ja, mein Lord«, erwiderte Leof mechanisch. Dann holte er Luft und nahm seinen Mut zusammen. »Doch da gibt es noch eine andere Aufgabe, die ich lieber übernehmen würde.«
Thegan lehnte sich ein wenig vom Tisch zurück und schob die Papiere beiseite. Spöttisch hob er die Brauen. Er sah plötzlich älter aus, sodass sich Leof vorkam wie ein ungezogenes Kind.
»Lieber übernehmen? Ich kann mich nicht daran erinnern, dich nach deinen Vorlieben gefragt zu haben, Offizier.«
Leof hatte einen Kloß im Hals, den er hinunterschlucken musste.
»Mein Lord, ich möchte darum bitten, dass Ihr mich zum Unterhändler bestimmt, der mit Baluchston verhandelt. Lasst mich mit ihnen reden, damit sie sich ergeben.«
»Und den Zauberer ausliefern?«
Leof legte eine Pause ein. Was er nun sagte, musste er gut formulieren, sonst würde Thegan Anstoß daran nehmen. »Mein Lord, wenn ich der Zauberer wäre, hätte ich die Stadt schon lange verlassen. Die Stadt ist womöglich nicht im Stande, ihn auszuliefern.«
»Dann …«
»Dann müssen sie sich uns auf Treu und Glauben ergeben«,
sagte Leof hastig. »Wie mir scheint, kann einzig und allein die Preisgabe der Stadt ihre redlichen Absichten beweisen.«
Thegan lächelte bedächtig. »Das ist sehr gut durchdacht, Leof. Ja. Gut. Dieses Argument kannst du dem Sprecher von Baluchston vorbringen. Ich glaube, sie haben sich den Brauch bewahrt, einen Sprecher zu wählen anstatt eines Bürgermeisters.« Er legte eine Pause ein, während der er darüber nachdachte. »Tatsächlich könnte man argumentieren, dass Baluchston keine freie Stadt ist und es auch nie war. Sie wurde von Acton oder von seinem Sohn gegründet. Sie hält einen Brauch aufrecht, der sonst nur in einem Dorf gepflegt wird. Sie besitzt keinen Freibrief eines Kriegsherrn.« Innere Genugtuung brachte ihn zum Lächeln, da dieses Argument etwaige Probleme mit anderen Kriegsherren verhindern konnte. »Sie hat keinen Anspruch auf den Schutz durch irgendwen. Geh hin, und sag ihnen das, und sag ihnen auch, dass sie bis Mittag Zeit haben, um sich zu entscheiden.«
Leof nickte, drehte sich um und machte Anstalten zu gehen. Sein Magen revoltierte. Doch er hätte wissen müssen, dass Thegan ihn nicht so einfach gehen lassen würde.
»Leof?«
Bevor er sich umdrehte, stellte er sicher, dass er eine möglichst unbeteiligte Miene aufsetzte. Thegan lächelte, doch es war das gefährliche Lächeln, jenes, bei dem er nur die Mundwinkel verzog, seine Augen jedoch weiter kalt dreinschauten.
»Nachdem du verhandelt hast, will ich die Liste der Toten bis zum Mittag.«
Leof nickte. »Selbstverständlich, mein Lord.«
Er verließ das Zelt mit einem überwältigenden Gefühl der Erleichterung und erkannte, dass er einen kurzen Moment
in einer genauso gefährlichen Lage geschwebt hatte wie Baluchston.
»Hodge«, rief er dem Sergeant zu, als dieser vorbeikam. »Mein Lord möchte eine Auflistung der Toten. Hol dir drei Männer, die schreiben können, und lass sie eine Liste anfertigen. Dann komm mit einer Ehrenformation zu meinem Zelt. Wir gehen nach Baluchston.«
Er ritt auf Thistle in die Stadt hinein, Hodge und drei andere auf braunen Wallachen, Pferden, die sonst Thegans Ehrenformation ritt und die der Welle irgendwie entkommen waren. Die Männer waren in aller Eile herausgeputzt und die Pferde rasch mit der Bürste gestriegelt worden. Die Bewohner von Baluchston blieben auf den Straßen stehen und schauten ihnen hinterher. Sie hatten einen sonderbaren Ausdruck auf den Gesichtern; es lag eine Mischung aus Angst und Zuversicht in ihren Mienen, so als glaubten sie, ihnen könne nichts geschehen, ganz gleich was die Soldaten unternehmen würden. Und als würden diese ihren Versuch teuer bezahlen müssen.
Leof diente seit seinem achtzehnten
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