Die Hueterin der Geheimnisse
benutzten, waren mir manchmal fremd. Aber die Arbeit war dieselbe; sie hatten Ziegen, keine Schafe, und obwohl Ziegen klüger sind als Schafe, müssen sie doch gefüttert und gemolken und bei der Geburt ihrer Jungen unterstützt werden. Die Wolle war weicher, jedoch ein wenig schwieriger zu spinnen, die Decken leichter, aber wärmer. Es waren kleine Unterschiede.
Der große Unterschied war Hard-hand. An jenem ersten Morgen, als ich meine Mutter verließ, hatte er mir ein Pferd zum Reiten gegeben, ein Pony, das mich mit sicherem Tritt über den Bergpfad führte, sogar an einem großen Abgrund vorbei, der so tief reichte, dass man den Grund nicht sehen konnte. Hard-hand ritt die ganze Zeit neben mir, aber dort stieg er vom Pferd und führte mein Pony. Dann stieg er wieder auf, und ich dankte ihm. Anschließend versuchte er, mit mir zu reden, obwohl er Schwierigkeiten hatte, etwas zu finden, das er sagen konnte. Er war kein kluger Mann. Schließlich erzählte er mir von seinem Land, seinem Gut, wie er es nannte, und von den Leuten, die ihm lehenspflichtig waren.
Immerhin war er zum Stammesführer gewählt worden, und so bereitete es mir keine Schande, ihm beizuliegen.
Die Kräfte der Götter wirkten merkwürdig bei mir. In meinem Herzen hasste ich ihn - nicht so sehr wegen seines Überfalls auf unser Gehöft, denn mit so etwas muss man rechnen, sondern weil er mich dazu gezwungen hatte, die Wahl zu treffen, die ich getroffen hatte, und weil ich dadurch von meiner Familie und meinen Freunden getrennt worden war, weil er mich um das Recht gebracht hatte, mir meinen Mann selbst auszusuchen. Ich hasste ihn dafür, dass sich seinetwegen die große Macht der Blutlinie meiner Mutter, die dazu benutzt werden sollte, starke, in Freude lebende Familien zu gründen, in eine Waffe verwandelt hatte. Als Mensch war er mir nicht unangenehm. Wenn er meine Hand nahm, hatte ich nicht das Verlangen, sie ihm zu entziehen.
Am späten Abend, nach einem langen, sehr langen Ritt, gelangten wir zu seinem Bauerngehöft mit einer Ansammlung kleinerer Gebäude. Ich schwankte schon im Sattel, und er schaute mich besorgt an, als er mich aus dem Sattel hob.
»Siggi!«, schrie er. Eine Frau trat aus seinem Haus und machte Anstalten, ihn zu begrüßen und zu küssen, doch er stieß sie grob von sich.
»Das ist …« In diesem Moment bemerkte er, dass er meinen Namen gar nicht kannte, dass er den ganzen Tag neben mir geritten war, ohne mich danach zu fragen. Gris lachte.
»Asa«, sagte er. »Ihr Name ist Asa.« Später begriff ich, dass es typisch für ihn war, zu erfahren, was viele nicht wussten, nicht für wissenswert hielten.
»Asa«, sagte Hard-hand mit schmeichelnder Stimme. Als Siggi ihn so reden hörte, versteinerte ihr Gesicht. »Sie wird meine Frau werden«, sagte er. »Behandele sie gut. Heute Abend werde ich im Haus meiner Mutter schlafen, und am Morgen werden wir unsere Hände miteinander verbinden.«
Von diesem Augenblick an hasste mich Siggi, und ich konnte es ihr nicht verdenken. Sie hatte drei Jahre lang als Konkubine mit ihm gelebt, bevor ich kam, und hatte ihm zwei Töchter geboren. Aber jetzt war sie für ihn nur noch eine Dienerin. Sie wollte mich tot sehen, wagte jedoch nicht, ihm den Gehorsam zu verweigern.
Sie führte mich ins Haus und zeigte mir ein Zimmer, in dem ich schlafen konnte, denn an diesem Ort schliefen sie in verschiedenen Räumen, allein oder mit ihren Gatten und Kindern, statt alle zusammen wie bei uns.
Die Erschöpfung ließ mich tief schlafen. Als ich aufwachte, wusch ich mich und bereitete mich vor. Bei Sonnenaufgang kam Hard-hand, wie der Brauch es vorschrieb, und über einem heiligen Feuer, das aus einem noch niemals benutzten Feuerstein geschlagen worden war, wurden unsere Hände miteinander verbunden. Im Gegensatz zu uns, wo der Stammesführer der Mittler zu den Göttern ist, gab es bei diesem Volk einen Seher, der sämtliche Zeremonien vollzog, ein Mann, der ständig in Kontakt mit den Göttern stand, so wie Athel es gelegentlich vermochte. Später entdeckte ich, dass ihre Götter kleiner sind als unsere, aber wesentlich zugänglicher, und dass jeder zu ihrem schwarzen Felsaltar gehen und zu den Göttern sprechen konnte, um eine Gunst zu erbitten oder um Vergebung zu flehen. Da ich ein Kind anderer Götter war, wagte ich dies nie zu tun. Siggi hingegen erfuhr großen Trost, als die Götter ihr mitteilten, dass ich binnen eines Jahres wieder weg sein würde.
Das erzählte sie mir am Morgen nach
Weitere Kostenlose Bücher