Die Hueterin der Krone
und stämmig gebaut. Sein Haar leuchtete nicht so wie das seines jüngeren Bruders, und die braunen Augen, die er von seiner Mutter geerbt hatte, standen weit auseinander. Matilda hatte ihn ohne Vorbehalte in ihren Haushalt aufgenommen. Das Kind konnte nach ihren Wünschen geformt werden. Sie wollte Hamelin zu Henrys Gefährten, Gehilfen und treuen militärischen Gefolgsmann machen.
»Aber ich bin dann Herzog und der König, und du bist mein Vasall«, gab Henry zurück. »Du musst mir geloben, mir zu gehorchen und für mich zu kämpfen, und dafür belohne ich dich mit Ländereien und Geschenken.«
Hamelin runzelte die Stirn. »Was für Geschenken?«
Henry schwenkte die Hand durch die Luft. »Burgen und Schwerter und Pferde und Rüstungen.«
Hamelin nestelte an der Kettenhaube herum. Grüne Lichter tanzten in seinen Augen. »Ich will ein großes schwarzes Pferd, so eines wie Papa.«
Sie rannten davon, um ihr Spiel, eine nur in ihrer Fantasie existierende Burg einzunehmen, fortzusetzen, und ein paar der jüngeren Söhne ihres Bruders Robert schlossen sich ihnen an. Matilda schob die Unterlippe vor. Sie würde ein Auge auf Henry haben und jegliche Anzeichen für Verschwendungssucht im Keim ersticken. Sie wollte nicht, dass aus ihrem Sohn ein der Gnade seiner Barone ausgelieferter Schwächling wurde, den sie melkten und dann im Stich ließen. Er musste lernen, sich durch Klugheit Anhänger zu schaffen, nicht durch Geschenke, und diese Leute entsprechend zu behandeln. Dabei fiel ihr Stephen ein. Er hatte keine Ahnung, wie man ein Königreich regierte. Die ganzen Reichtümer, die ihr Vater angehäuft hatte, strömten aus den Schatztruhen wie Blut aus einer aufgeschlitzten Arterie, während er sich bemühte, die verschiedenen Lager am Hof zusammenzuhalten. Ein König sollte nicht versuchen, seine Untertanen zufriedenzustellen, sondern sie beherrschen.
Ein Bote wurde zu ihr geführt, kniete nieder und reichte ihr ein Bündel Pergamente. Ihr Blick fiel auf das Siegel von Ulger, des Bischofs von Angers, als sie den Boten entließ. Auf diese Nachrichten hatte sie gewartet. Ihre Atemzüge beschleunigten sich. Der Bischof hatte beim Laterankonzil in Rom um den Sturz Stephens ersucht. Matilda hatte zusammen mit ihrer Bitte kostbare Geschenke dorthin geschickt: Reliquienschreine, einen goldenen Hostienbehälter, Kästchen mit Weihrauch und ein Gewand aus Goldstoff, besetzt mit Rubinen aus dem Schatz, den sie aus Deutschland mitgebracht hatte. Stephen hatte eine eigene Delegation mit sicherlich ebenso vielen kostbaren Gaben ausgesandt, um seine Sache zu vertreten, auch er überließ nichts dem Zufall. Sie las rasch, die Worte im Kopf wiederholend. Die Nachricht war in lateinischer Sprache verfasst, die sie fließend beherrschte. Sie bekam rote Flecken im Gesicht und fühlte sich krank vor Wut, sodass sie heftig schlucken musste.
»Schwester?« Robert, der hinter dem Boten hereingekommen war, eilte zu ihr. »Was ist denn?«
»Weißt du, welche Argumente Stephen vorbringt?«, stieß sie hervor. »Weißt du, warum er behauptet, ich hätte kein Anrecht auf die Krone von England?« Sie hielt ihm das Pergament hin. »Er pocht darauf, dass meine Eltern nie legal verheiratet waren – dass meine Mutter eine Nonne war, eine Braut Christi, die den Schleier genommen hat! Ich habe erwartet, dass er die Lüge aufbauscht, mein Vater hätte die Männer auf seinem Sterbebett von ihrem Eid entbunden, aber das … das stinkt zum Himmel! Ja, sie lebte in einem Kloster, bevor sie ihn heiratete, aber sie hat keine Gelübde abgelegt.«
Robert überflog den Brief. Seine Miene wurde grimmig. »Ein jämmerliches, verzweifeltes Argument«, stellte er verächtlich fest. »Die Trauung wurde von Erzbischof Anselm vollzogen, der der Verbindung nie seinen Segen erteilt hätte, wenn deine Mutter Nonne gewesen wäre.« Er las weiter und sagte dann tonlos: »Der Papst hat Stephens Anspruch auf die Krone bestätigt.«
Matilda hatte Mühe, ihre Wut zu bändigen. »Ich habe von Innozenz nichts anderes erwartet.« Sie deutete auf den Brief. »Viele seiner Kardinäle waren mit seiner Entscheidung nicht einverstanden. An sie müssen wir uns halten und beim nächs ten Papst auf einen besseren Ausgang hoffen. Innozenz ist alt und nicht sonderlich kräftig. Jetzt bin ich noch fester entschlossen als vorher. Mein Vater hat Stephen mit großzügigen Geschenken und Privilegien überhäuft, ohne zu merken, was für eine Schlange er an seinem Busen nährt.«
»Stephen
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