Die Hueterin der Krone
alles Nötige veranlassen.«
Als die Frau mit ihrem Schützling hinausgegangen war, barg Will den Kopf in den Händen. Seine angestaute Freude und Erleichterung entlud sich in einem leisen Schluchzen.
»Die Welt hat sich verändert«, sagte er zu Joscelin, der ihn voller Unbehagen musterte. »Jetzt habe ich einen Sohn, dessen Zukunft ich ebenso sichern muss wie meine eigene.«
Später am Tag suchte Will Adeliza in der Wöchnerinnenkammer auf. Sie saß aufrecht im Bett, ihr Haar fiel ihr in einem schimmernden Zopf über den Rücken. In ihrem Gewand war ein von Broschen zusammengehaltener Schlitz, damit sie das Kind bis zu ihrer Aussegnung stillen konnte. Danach übernahm eine Amme diese Aufgabe. Ihr Gesicht trug Spuren tiefer Erschöpfung, aber ihre Augen leuchteten, und sie lächelte strahlend.
Will beugte sich vor und küsste sie zart, wobei er sich plump und unbeholfen vorkam.
»Ich bin so stolz auf dich und unseren prächtigen Sohn.«
»Und ich danke Gott dafür, dass wir ihn haben«, antwortete sie mit zitternder Stimme.
Er setzte sich auf den Stuhl neben ihrem Bett, reichte ihr das kleine geschnitzte Kästchen, das er unter seinem Umhang verborgen hatte, und wartete gespannt auf ihre Reaktion.
Adeliza nahm es verwirrt entgegen und fuhr mit den Fingern behutsam über die kunstvoll herausgemeißelten Blätter auf dem Deckel und an den Seiten, ehe sie es öffnete. Darin lag ein Buch, dessen juwelenbesetzter Elfenbeineinband einen wundervollen Kontrast zu dem roten Seideninnenfutter bildete. »Äsop!«, rief sie entzückt. »Ich liebe seine Fabeln!«
»Ich habe früher immer zugehört, wenn du sie am Hof vorgelesen hast, und gesehen, wie du deine Zuhörer in deinen Bann geschlagen hast.« Ihre offenkundige Freude entlockte ihm ein breites Lächeln.
Sie blätterte die Seiten um und bestaunte die leuchtend bunten Illustrationen. Die Krähe, die den Käse fallen lässt, den der Fuchs dann verschlingt; die Ameise und den Grashüpfer; den Storch und den Fuchs vor dem Krug mit dem langen Hals.
»Ich habe es von den Mönchen von Wymondham für dich anfertigen lassen. Ich dachte, du könntest dem Kleinen daraus vorlesen, wenn er älter ist.«
In Adelizas Augen schimmerten plötzlich Tränen.
»Ah, Liebes, nicht weinen«, bat Will erschrocken. »Dann fange ich auch an. Was würden meine Männer sagen, wenn ich rotäugig und schniefend aus deiner Kammer komme?«
Sie wischte sich lachend über die Augen. »Sie würden es nicht wagen, etwas zu sagen, und außerdem sind die Tränen eines starken Mannes seine vielleicht wichtigste Charaktereigenschaft.«
Er umschloss ihre Hand und staunte einmal mehr darüber, wie klein und zart sie war. Der Anblick ihrer Finger in seiner großen Tatze löste in ihm den überwältigenden Drang aus, sie vor allem Übel zu bewahren. Sie hatte so viel durchgemacht.
»Ich hätte mir nie träumen lassen, einmal so glücklich zu sein«, flüsterte sie. »Du ahnst gar nicht, wie reich du mich beschenkt hast.« Mit ihrer freien Hand berührte sie die Wange des schlafenden Babys. »Das ist mehr wert als jede Krone.«
Lange saßen sie einträchtig schweigend beieinander. Keiner war geneigt, etwas zu sagen; ihre Gefühle bedurften keiner Worte. Nach seiner anfänglichen Unsicherheit zögerte Will jetzt, die wundervolle, nach Weihrauch duftende Kammer wieder zu verlassen. Er hätte seine madonnengleiche Frau und seinen Sohn die ganze Nacht lang betrachten können, aber er merkte, dass seine Gegenwart die Hebammen nervös machte. Es war an der Zeit, sich zu verabschieden. Er küsste Adeliza erneut, drückte die Lippen leicht auf die kleine weiche Stirn des Babys und verließ widerstrebend die Kammer.
Als sich die Tür hinter ihm schloss, seufzte Adeliza zufrieden, machte es sich im Bett bequem, schlug den Äsop auf und strich mit den Fingerspitzen über die kunstvolle Schnitzerei und die kleinen Edelsteine des Einbands. Das Buch war ein seltenes und überaus kostbares Geschenk. Will war kein Mann vieler Worte, aber er konnte aufmerksam und einfühlsam sein, wenn die Gelegenheit es erforderte, und manchmal, so wie jetzt, war er imstande, sie zutiefst zu überraschen. Er verstand sie nicht immer, genauso wenig wie sie ihn, aber sie kamen gut miteinander aus, und an Tagen wie heute glich das Leben einem rauschenden Fest.
30
Arundel Castle, Sussex, August 1139
Adeliza stand am Doppelbogen des Fensters ihrer Kammer. Es war später August, die Ernte leuchtete weiß auf den Feldern, und der
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