Die Hueterin der Krone
Rowland’s Castle, einem kleinen Bergfried an der Straße nach Winchester. Der Lord war nicht da, aber sein Verwalter und sein Haushofmeister waren von Vorreitern informiert worden und hatten Feuer entzündet und die Kammern vorbereitet. Matildas im zweiten Stockwerk über der Halle gelegener Raum war zugig, weil die Fensterläden nicht richtig schlossen, aber Kohlenbecken hielten die Kälte einigermaßen in Schach, und ihr schwerer Hermelinumhang war warm. Nach dem Tag in der Kutsche kam sie sich vor, als wäre sie in einem Sack voller Holzscheite durchgeschüttelt worden.
Ihre Zofen bezogen das Bett mit sauberen Leinenlaken und legten Decken bereit. Als ein Diener des Legaten erschien und sie aufforderte, seinem Herrn einen Besuch abzustatten, war Matilda nur um des Vergnügens willen, Winchester vor den Kopf zu stoßen, versucht abzulehnen, aber sie wollte auch wissen, was er im Schilde führte. Er war nicht der Einzige, der Netze spinnen konnte.
An seiner Kammertür angekommen sah sie Henry of Winchester an einem Kohlenbecken stehen und einen Pergamentbogen studieren. Er blickte auf, als sie eintrat. Ein kaum dem Knabenalter entwachsener Jüngling stellte eine Weinkaraffe nebst Bechern auf die Anrichte und arrangierte kleine gefüllte Pasteten auf einem weißen Tuch. Der Bischof tätschelte ihm den Kopf, drückte ihm eine Pastete in jede Hand und schickte ihn zusammen mit den anderen Dienstboten fort.
»Leistet uns Lord de Meulan keine Gesellschaft?«, fragte Matilda.
»Der Earl of Worcester hat sich mit etwas Wein und einer willigen Gefährtin in seine Kammer zurückgezogen.« Henry winkte ab, wobei er darauf achtete, dass sich das Licht in dem kostbaren Ring an seinem Mittelfinger fing. »Ich sehe keinen Anlass, ihn zu stören.«
»Du hast es trotz Stephens Versuchen, dir Steine in den Weg zu legen, weit gebracht«, sagte sie. »Es muss ihn wurmen, dass du den Posten eines päpstlichen Legaten ergattert hast.«
Er maß sie mit einem abschätzenden Blick. »Das würde ich so nicht sagen. Mein Bruder akzeptiert dies.«
»Aber du hast Monate gewartet, bevor du es ihm erzählt hast.«
»Ein Mann, der den ganzen Inhalt seiner Juwelenschatullen enthüllt, lädt geradezu dazu ein, beraubt und getäuscht zu werden«, erwiderte Winchester über die Schulter hinweg, während er ihnen Wein einschenkte.
»Mir scheint, dein Bruder zählt genau zu dieser Sorte Mann, und daher ist seine Schatulle fast leer.«
»Aber ich nehme an, du gehörst nicht zu dieser Sorte Frau?«
Sie erkannte mit heimlicher Belustigung, dass er mit ihr flirtete, während sie mit heiklen politischen Angelegenheiten jonglierten. »Nein, ich gehöre nicht dazu.« Ihr Blick wurde hart. »Aber ich bin trotzdem beraubt und getäuscht worden.«
»Darüber könnte man streiten. Einige würden sagen, unter Zwang geleistete Eide seien ungültig. Und manch einer dürfte die Meinung vertreten, von einem Eid entbunden worden zu sein sei Grund genug, ihn nicht noch einmal zu leisten.« Er reichte ihr den Becher.
»Einige Leute würden auch sagen, die Kirche sollte ihren Platz kennen und sich nicht in weltliche Angelegenheiten einmischen«, gab sie zurück. »Diejenigen, die von Absolution sprechen, sind zugleich jene, die mich skrupellos beraubt haben, und sie werden auch weiterhin auf Kosten anderer ihre Schäfchen ins Trockene bringen. Zurzeit sind die Schatztruhen deines Bruders beklagenswert leicht, und er muss die Kirche ausplündern, um nicht zu verarmen. Zu den Zeiten meines Vaters waren die Truhen stets gut gefüllt. Jetzt strozen die Beaumonts vor Gold, und die Söldner, deren Loyalität erkauft wurde, verfügen über Juwelen und Macht. Wer herrscht denn am Hof deines Bruders? Ganz gewiss nicht dein Bruder, und du auch nicht.«
Henrys Wangen über dem buschigen Bart röteten sich. »Ich gebe zu, dass mein Bruder durch schlechten Rat fehlgeleitet wurde, aber als päpstlicher Legat übe ich genug Einfluss aus, um mit solchen Dingen fertig zu werden.« Er betonte das Wort »Einfluss« kaum merklich.
Jetzt aufgepasst, dachte sie. Die Spinne zeigt sich. Der Mann, der im Grunde König werden wollte und beide Seiten um seines Vorteils willen gegeneinander ausspielen würde. Sie nippte an dem Wein, registrierte, dass er von bester Qualität war. Der Bischof hielt selbst auf Reisen nichts davon, sich zu kasteien. »So.« Sie stellte ihren Becher ab. »Du hast mich nicht hergebeten, um vor dem Zubettgehen freundschaftlich mit mir zu plaudern. Lass
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