Die Hueterin der Krone
war die Antipathie so stark gewachsen, dass Miles’ Position unhaltbar wurde. Dasselbe galt für Stephens ehemaligen Marschall John FitzGilbert, der dieses Amt nun in Matildas Gefolge bekleidete. Auch er durchstreifte den Hof wie ein Leopard inmitten einer Schar von Hauskatzen. Seinen aus etwas weicherem Holz geschnitzten Bruder William hatte sie bereits zu ihrem Kanzler und Hauspriester ernannt. Sie hatte die Eide der Männer mit ernster Miene entgegengenommen. Erst mussten sie sich bewähren.
»Herrin, ich hatte mich für Stephen entschieden, weil ich dachte, er würde einen starken und ehrenhaften Herrscher abgeben und weil Ihr weit weg in Anjou wart«, erklärte Miles. »Aber nachdem ich gesehen habe, wie er die Regierungsgeschäfte führt und was für Männer er begünstigt, und da Ihr jetzt hier seid, schwöre ich Euch, dass meine Loyalität von heute an nur Euch alleine gilt.«
»Wofür ich Euch dankbar bin, aber Taten zählen mehr als Worte«, gab Matilda zurück.
Er hielt den Kopf gesenkt, spähte aber durch seine spärlichen Wimpern zu ihr empor. »Ich stelle Euch Gloucester Castle und meinen Schutz zur Verfügung, wenn Ihr abseits von Bristol Hof zu halten wünscht. Ihr könnt Euch aller meiner Mittel bedienen.«
Matilda neigte den Kopf. »Ich werde über Euer Angebot nachdenken.« Sie hätte ihm diesen Vorschlag selbst unterbreitet, war aber froh, dass er ihn von sich aus zur Sprache gebracht hatte. Sie musste sich von ihrem Bruder lösen und die Macht in die eigenen Hände nehmen. So hatte Stephen mit Gefahren an verschiedenen Fronten zu kämpfen.
Sowie die Schwurzeremonie und das anschließende Festmahl beendet waren, nahm sich Matilda einen Moment Zeit für sich und machte nur in Begleitung einer Zofe einen Rundgang über das Burggelände, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Die Luft war kalt und feucht, und sie konnte den beißenden Geruch des Wassers der Flussmündung wahrnehmen, der vom Graben aufstieg, und die klagenden Schreie der Möwen hören. Bristol Castle war nahezu uneinnehmbar. Geschützt durch die Flüsse Frome und Avan war es leicht zu beliefern, sodass man hier ungestört Handel betreiben konnte. Stephen hatte im letzten Jahr versucht, die Burg einzunehmen, und war kläglich gescheitert.
In einigen Kammern wurden die Fensterläden geschlossen, weil das Tageslicht schwächer wurde. Der aschgraue Himmel verdunkelte sich, und nur ein rötlicher, an glühende Holzkohle erinnernder Schimmer blieb.
Matilda wollte gerade in ihre Kammer zurückkehren, als sie Brian FitzCount aus der Richtung der Ställe kommen sah. Er machte einen Bogen um die Pfützen, um seine modischen Stiefel mit den nach oben gebogenen Kappen und den Saum seines Umhangs nicht zu beschmutzen. Als er sie sah, zögerte er, als erwäge er, die Richtung zu ändern, doch dann straffte er die Schultern und ging weiter.
»Herrin.« Er verbeugte sich.
»Mylord FitzCount.« Sie warf ihm einen fragenden Blick zu.
»Ich habe nach meinen Pferden gesehen und mich vergewissert, dass sie für meinen morgigen Aufbruch nach Wallingford bereit sind«, sagte er. »Da ich Stephen die Lehnstreue aufgekündigt habe, wird er mich angreifen, und ich muss die Verteidigungsanlagen verstärken.«
»Dafür dürfte es jetzt etwas zu spät sein«, gab sie scharf zurück.
Er maß sie mit einem vorwurfsvollen Blick. »Ich habe mich seit dem Tod Eures Vaters darauf vorbereitet, aber ich muss an die Zukunft denken und mich mit eigenen Augen davon überzeugen, dass alles in Ordnung ist.«
Matildas Gewand bauschte sich, als sie mit ihm zu den Unterkünften zurückging. »Wenn Stephen nach Wallingford kommt, wird er dort nicht lange bleiben. Das kann er sich nicht leisten, weil andere sich gleichfalls gegen ihn auflehnen werden.«
Er holte tief Atem. »Was, wenn es gar nicht zum Kampf käme? Wenn wir eine Einigung aushandeln könnten?«
Sie musterte ihn scharf. »Was für eine Einigung?«
»Stephen könnte Euren Sohn als Erben der Normandie und Englands anerkennen.«
Matilda schnaubte verächtlich. »Haltet Ihr das für wahrscheinlich? Selbst wenn er einwilligt, würde sich seine Frau weigern. Ich kenne meine Base Maheut. Stephen mag ja auf dem Thron sitzen, aber Maheut hat das Zepter in der Hand.«
»Aber nehmen wir doch einmal an, der Vorschlag käme auf den Tisch. Wärt Ihr bereit, ihm zuzustimmen?«
Sie hob die Brauen. »Auf meine Krone zu verzichten, meint Ihr – die zu ehren ihr alle geschworen habt?«
Brian machte eine
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